Station 2

Demokratinnen und Demokraten

Viscardigasse (rechts im Eingangsbereich der Gasse)

 

Dieses Jahr steht das Gedenken an den 9. November 1938 unter dem Motto „ Demokratische Vorbilder“. 2019 gibt es gleich drei runde Jahrestage, die an die Geschichte der Demokratisierung Deutschlands erinnern: Das 100. Jubiläum der Weimarer Reichsverfassung, das 70. Jubiläum des Grundgesetzes sowie der 30. Jahrestag der friedlichen Revolution in der DDR. Wir greifen diese Jahrestage auf, um an verfolgte jüdische Münchnerinnen und Münchner zu erinnern,


•    die sich in ihrem jeweiligen Wirkungskreis als Demokratinnen und Demokraten engagierten,
•    die sich gegenüber dem NS-Regime als unbeugsam erwiesen oder
•    die aktiv im Widerstand waren,
und die daher als „demokratische Vorbilder“ für heute gelten können.
 
Dabei nehmen wir widerständige Verhaltensweisen und Abwehr-Handlungen aller Art in den Fokus: Sei es
•    in der politischen Arbeit als Mitglieder demokratischer Parteien oder als
•    Abgeordnete,
•    als Anwälte und Richter,
•    in der Sozial- und Bildungsarbeit,
•    der Kunst,
•    der Frauenbewegung,
•    der organisierten Fluchthilfe,
•    der jüdischen Gemeinde,
•    und im Kampf für freie sexuelle Orientierung.

 Der Ort, an dem wir gerade stehen, bietet sich für diese Einführung in besonderer Weise an. In der NS-Zeit ist die Viscardigasse im Volksmund als „Drückebergergasse“ bekannt. Wie vorher gesehen, stand früher neben der Viscardigasse das Mahnmal für die 16 sogenannten „Blutzeugen der Bewegung“. Davor ist immer eine Ehrenwache der SS postiert ist, vor der alle Passantinnen und Passanten den Deutschen-Gruß zeigen müssen. Menschen, die aus Richtung des Marienplatzes kommen und die aus welchen Gründen auch immer nicht den rechten Arm zum Gruß heben wollen, biegen vorher in die Viscardigasse ab. Heute erinnert ein Denkmal von Bruno Wank aus dem Jahr 1995 an diesen Akt des non-konformen Verhaltens. Die im Boden eingelassene Bronzespur symbolisiert den Umweg, den die Menschen in der NS-Zeit auf sich nahmen, um sich damit vor einer Respektsbezeugung für das NS-Unrechtssystem zu drücken. Eigentlich war das Denkmal nur als eine vorübergehende Installation geplant, erst vor einigen Jahren kaufte die Stadt dem Künstler das Denkmal ab.

Alle fünf Personen, die wir Ihnen heute näher vorstellen, arbeiteten in München als Rechtsanwälte. Daher möchten wir zunächst kurz etwas allgemeines über die Verfolgung jüdischer Juristen in der NS-Zeit sagen.
Als eine der ersten Berufsgruppen verdrängt das NS-Regime nur wenige Wochen nach der Machtübernahme am 7. April 1933 jüdische Juristen mit dem „Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft“ aus ihren Berufen. Mit dieser Maßnahme soll der „jüdische Einfluss“ auf das Rechtswesen ausgeschaltet werden, zugleich erschwert es das NS-Regime den Juden dadurch, sich rechtlichen Beistand gegen die Verfolgungsmaßnahmen zu nehmen. Auf Intervention des Reichspräsidenten Paul von Hindenburg werden Frontkämpfer des ersten Weltkrieges vorerst davon ausgenommen. Anfang 1938 sind nur noch 1.750 Juden als Rechtsanwälte im Deutschen Reich zugelassen. Vor 1933 waren es mehr als 17.000. Am 30. November 1938 erhalten schließlich auch sie Berufsverbot. Nur wenige Juden haben noch die Erlaubnis, als Anwälte weiter zu arbeiten. Allerdings dürfen sie nur noch jüdische Klienten betreuen. Sie müssen sich von nun an „Konsulenten“ nennen.

In der Münchner Innenstadt hatten 1933 zahlreiche Juden ihre Kanzleien. Gehen wir nun einige Meter weiter in die Theatinerstraße und lernen wir als erstes die Biografie von Ferdinand Kahn kennen.

 

Maximilian Strnad