Alexander & Johanna G. Liebmann

Der Graphiker Alexander Liebmann wird am 30. Oktober 1871 in Berlin geboren und studiert an der dortigen Kunstakademie. Er zieht 1895 nach München. Seine spätere Ehefrau ist die Landschaftsmalerin Johanna Liebmann, die am 2. August 1874 in Hühnerey, Kreis Glogau geboren ist und 1918 nach München. übersiedelt.


Ab 1939 muss das Ehepaar Liebmann von seiner einstigen Wohnung in Untergiesing erst in eine kleinere Wohnung in der Ohmstraße, ein Jahr später 1940 in eine kleine Pension in der Akademiestraße umziehen. Schließlich ab Dezember 1941 werden sie zwangsweise in ein sogenanntes Judenhaus in der Bürkleinstraße 16 eingewiesen.


Im März 1942 erhalten Alexander und Johanna Liebmann den Befehl in das Judenlager Berg am Laim zu ziehen, von wo sie aus nach Osten deportiert werden sollen.


Nachdem sie aus der Reichskunstkammer ausgeschlossen werden, beschäftigt Karl Wieninger das Ehepaar Liebmann ab Sommer 1941 als Porzellanmaler in seiner keramischen Werkstätte in Sendling. Wieninger, der sich mit dem Ehepaar Liebmann anfreundet, versucht die drohende Deportation zu verhindern - scheitert allerdings. Wieninger beschreibt die letzten Monate vor deren gemeinsamem Suizid. Alexander Liebmann ist 69 Jahre alt, seine Ehefrau Johanna 66.  Das Ehepaar Liebmann wird auf dem neuen jüdischen Friedhof an der Ungererstraße beerdigt.

 

Die Menschen, um die es ging waren Alexander und Johanna Liebmann, ein Künstlerehepaar von gediegenem Rang. Während Alexander als Grafiker hauptsächlich farbige Radierungen, buntgetönte Aquatinta-Bilder und Aquarelle geschaffen hatte, betätigte sich seine Frau vor allem als Landschaftsmalerin. Auch sie hatte mit ihren Ölbildern in der Fachwelt eine ausgezeichnete Anerkennung gefunden. Beide hatten sowohl im Münchner Glaspalast als auf vielen internationalen Ausstellungen ihre Bilder gezeigt und verkauften diese gut. Nun war ihnen durch die Reichskunstkammer die Betätigung als freischaffende Künstler verboten worden.

 

Beide stammten aus Berlin, waren jedoch schon nach dem Ersten Weltkrieg nach München übergesiedelt. Damals konvertierten sie zum evangelischen Glauben. In der Zeit der beginnenden Verfolgung hatten sie in der Glaubensgemeinschaft ihrer Konfession oftmals Trost und Aufrichtung gefunden. 

 

Meine erste Begegnung mit dem Ehepaar Liebmann verlief recht förmlich. Es war für mich schwer, mit ihnen in persönlichen Kontakt zu kommen. Ich habe auch nie erfahren, warum sie sich gerade an mich, einen konservativ-katholischen kleinen Unternehmer um Hilfe gewandt haben. Die seit langer Zeit andauernde Diffamierung der Juden erzeugte in ihnen wohl ein Misstrauen gegenüber allen Fremden. Oberflächlich gesehen verfügten sie beide über eine stoische Ruhe, die ihren Ursprung aber in einer melancholischen Resignation gehabt haben mag. […]


Im Ersten Weltkrieg hatte er als Hauptmann in einem deutschen Infanterieregiment gedient, die schwere Schlacht an der Somme 1916 mitgemacht und als Schwerverwundeter, ausgezeichnet mit dem Eisernen Kreuz erster Klasse und der hessischen Tapferkeitsmedaille, seine deutsche Heimat wiedergesehen. Mit Tränen in den Augen zeigte er mir eines Tages seine deutschen Kriegsorden. Dabei stellte er mir die Frage: Und ich soll nun plötzlich kein Deutscher mehr sein?“ […]


Der 27. März 1942 war ein schwarzer Tag. Die Liebmanns erhielten – wie alle Bewohner dieses Hauses Bürkleinstraße 16 – den „Umsiedlungsbefehl“ der Arisierungsstelle des Gauleiters. Darin hieß es, dass am Karfreitag, dem 3. April, das Haus geräumt werde, und alle Hausbewohner sich ab 8 Uhr zum Abtransport bereitzuhalten hätten. Alexander Liebmann verständigte mich telefonisch. Er empfing mich kurz darauf mit den Worten: „Das ist das Ende. Seit langem schon befürchtet.“


In der Bürkleinstraße 16 hatten sich im zweiten Stockwerk inzwischen das Ehepaar Weissmann das Leben genommen. Als ich den Liebmanns die Nachricht meines Misserfolgs überbrachte, sagte mir Alexander Liebmann ruhig und ohne Pathos, dass er und seine Frau denselben Weg gehen werden. Aus einer zuverlässigen Quelle habe er erfahren, dass Frauen und Männer bei der Deportation voneinander getrennt würden. Er wisse, dass seine Frau nach Polen verschickt werde, während er nach Riga kommen sollte. Der Tag des Abschieds aus ihrem Leben würde der nächste Donnerstag sein.


Über die bevorstehende Katastrophe war ich erschüttert. Zwar hatte ich in dieser Richtung schon einige Male Befürchtungen gehegt, doch als die Tragödie unmittelbar in den nächsten Tagen eintreten sollte, ergriff mich die Angst und schmerzliche Trauer. Mit nassen Augen bat ich die beiden, den Schritt nicht zu tun. Ich machte mich anheischig, sie in einem verschwiegenen Raum meines Betriebes zu verbergen oder sie bei Freunden auf dem Lande unterzubringen. Mit ruhiger Gelassenheit antwortete mir Liebmann: „Können Sie mir mit ehrlicher Überzeugung die Versicherung geben, dass innerhalb von sechs Monaten der Krieg zu Ende ist und die Hitlerherrschaft sich in Nichts auflöst? Dann könnte man über Ihren Vorschlag reden. So aber kann es sein, dass das Dritte Reich noch einige Jahre besteht. So lange kann man niemanden, weder in der Stadt noch auf dem Lande, wie vom Erdboden verschluckt, verbergen.


Nein, nein, der Weg, den wir gehen müssen, ist der einzige, saubere Ausweg.“


Tröstend strich er mir über den Kopf: „Sterben ist viel leichter, als in der ewigen Bedrohung zu leben.“


Am Gründonnerstag, dem 2. April, bat mich Liebmann, am nächsten Tag möglichst früh die Kriminalpolizei von seinem Heimgang zu verständigen. Dann drängte er darauf, allein zu sein. Eine rasche Umarmung, mich würgte eine schmerzhafte Trauer. Telefonisch verständigte ich am anderen Tag die Polizei. In der Bürkleinstraße erwartete ich das Kommen des Kriminalbeamten. Ich übergab ihm die Schlüssel und betrat mit ihm das Zimmer der Toten. Beide lagen angekleidet auf ihren Betten. Der Kirchenrat hatte ihnen am Vortag je einen Trostspruch übergeben: „Du, o Herr, hast uns für Dich geschaffen und unser Herz ist unruhig bis es ruhet in Dir“. Und die andere Aufzeichnung: „Vater in Deine Hände befehle ich meinen Geist“. Beide hielten die Spruchzettel in ihren erstarrten Händen.  Der Kriminalbeamte bat mich zunächst, nichts zu berühren. Er trat an die Verschiedenen heran und konstatierte, dass der Tod schon eingetreten sei. Dann wandte er sich dem Tisch zu, auf dem in peinlicher Ordnung Familienpapiere, Ausweise und sonstige Dokumente, etwas Schmuck, einige Geldscheine und auch die Kriegsorden lagen. Der Polizeibeamte: „Das war ein Offizier.“ Etwas später murmelte er noch: „Kein Jude, schade!“

Eva König