Marie Luise Kohn, Malerin und Grafikerin

Marie Luise Kohn, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen Maria Luiko, kommt am 25. Januar 1904 als zweite Tochter des Münchner Kaufmanns Heinrich Kohn und seiner Frau Olga, geborene Schulhöfer, zur Welt.

Ihre Großeltern väterlicherseits waren Salomon Kohn, der aus Wassertrüdingen in Mittelfranken stammte, 1859 das Münchner Bürgerrecht erworben hatte und einen Lederhandel betrieb, und Johanna Kohn, geborene Billmann, eine gebürtige Schwabingerin. Die Großeltern mütterlicherseits, der Pferdehändler Louis Schulhöfer und seine Frau Peppi, geborene Theilheimer, lebten in Aschaffenburg.

Der in München geborene Vater Heinrich Kohn heiratet mit 33 Jahren die 22-jährige Olga Schulhöfer aus Würzburg und zieht mit ihr in die Elvirastraße in Neuhausen, bis die Familie 1914 mit den Töchtern Elisabeth, geboren am 11. Februar 1902, und Marie Luise ihren Wohnsitz in die Loristraße 7 in der Maxvorstadt verlegt. Hier wird die Familie bis zur Zwangsräumung 1939 wohnhaft bleiben. Der Vater Heinrich Kohn ist Inhaber der Großhandelsfirma „Otto Engl“ für Getreide und Futtermittel. Die Mutter Olga Kohn führt die Firma nach dem Tod ihres 67-jährigen Mannes Heinrich im Jahr 1933 bis zur erzwungenen Abmeldung des Gewerbes am 30.9.1938 weiter.

Die zwei Jahre ältere Schwester von Marie Luise, Elisabeth, studiert an der Münchner Universität Philosophie und Rechtswissenschaften, absolviert die Staatsprüfung für den höheren Justiz- und Verwaltungsdienst, promoviert und tritt 1928 in die renommierte Kanzlei der beiden auch politisch aktiven Anwälte Dr. jur. Max Hirschberg und Dr. jur et rer. nat. Philipp Löwenfeld ein.

Marie Luise Kohn besucht die Höhere Mädchenschule in München, anschließend ein Kindergärtnerinnenseminar, das sie 1922 mit der Anstellungsberechtigung für den Städtischen Dienst abschließt. Ihren eigenen Angaben zufolge nimmt sie in dieser Zeit parallel Stunden an der Mal- und Zeichenschule Moritz Heymann.

Ihre künstlerische Laufbahn beginnt sie mit Buchillustrationen zu Ernst Tollers „Hinkemann“ im Jahr 1923, in dem sie sich an der Akademie der Bildenden Künste im Wintersemester 1923/24 einschreibt, an der sie acht Semester lang Malerei in der Klasse Karl Caspars und Graphik bei Adolf Schinnerer studiert. Anschließend absolviert sie einige Semester in der Theaterklasse Emil Preetorius' an der Kunstgewerbeschule.


1924 betritt Marie Luise Kohn erstmals unter dem Künstlernamen „Maria Luiko“ öffentlich die Münchner Ausstellungsbühne. Es werden drei Scherenschnitte im Münchner Glaspalast gezeigt, wo sie dann jährlich bis 1931 – immer eine andere Technik präsentierend – vertreten ist. Die Kataloge nennen neben Zeichnungen, Aquarellen und Ölgemälden auch Scherenschnitte, Lithographien, Holzschnitte und Linoldrucke.


Maria Luiko interessiert sich ebenso für Literatur und Theater, was ihre Ausbildung unter Emil Preetorius bezeugt, der als Graphiker und Bühnenbildner eine wichtige Stellung in der Kunstwelt Münchens innehat. 1926 entwirft sie Bühnenbild und Masken zu Franz Werfels „Paulus unter den Juden“.


1927 wird sie Mitglied der Künstlervereinigung „Die Juryfreien“, welche ihr 1929 die Teilnahme an einer Kollektivausstellung ermöglicht. Im Zuge dieser Mitgliedschaft gehört sie zu den Juroren, die 1930 die Künstler für die Ausstellung im Glaspalast auswählen.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 und ihrem sofortigen rigorosen Vorgehen zur Entfernung der Juden aus dem gesellschaftlichen Leben und der Berufswelt wird Maria Luiko wie alle jüdischen Künstler aus dem Reichsverband der Deutschen Künstler ausgestoßen und mit Ausstellungsverbot belegt.


Die Familie Kohn ist von den einschneidenden Maßnahmen dieser Frühphase der NS-Herrschaft in allen Punkten betroffen: Heinrich und Olga Kohn als gewerbetreibende Kaufleute, Elisabeth Kohn als SPD-Mitglied und Rechtsanwältin in einer von sozialdemokratisch orientierten, jüdischen Anwälten geführten Kanzlei, die zudem die Prozessverteidigung in politisch brisanten Fällen übernommen hatte, Olga als Künstlerin.

Die antijüdische Gesetzgebung verbietet ab 1936 jüdischen Künstlern das Tragen von Künstlernamen… Dies ist auch für Maria Luiko eine ungeheure Einschränkung, da sie vor allem unter ihrem Künstlernamen in der Kunstszene bekannt ist. Sie engagiert sich nun in der 1933 in Berlin gegründeten Selbsthilfeorganisation jüdischer Künstler, im Kulturbund Deutscher Juden in München. Der Kulturbund bot ihr immerhin die Möglichkeit, sich an Wanderausstellungen in und außerhalb Bayerns zu beteiligen. In der Gemeindezeitung sind Expositionen unter ihrer Mitwirkung, z.B. auf der Grafischen Ausstellung bayerischer jüdischer Künstler 1934 in München, genannt.


Zusammen mit führenden Kulturbundmitgliedern wie Justizrat Fritz Ballin, dem Architekten Hellmut Maison und dem Vorsitzenden Ludwig Feuchtwanger ist sie an der Entscheidung über das Signet des Jüdischen Kulturbundes in Bayern beteiligt. Zudem ist sie an den Vorbereitungen, der Gründung und Leitung des Marionettentheaters Münchner Jüdischer Künstler maßgeblich beteiligt. Zusammen mit ihrem Künstlerkollegen Rudolf Ernst, der auch Mitglied der Juryfreien war, gestaltet sie den Spielplan, entwirft und fertigt die Figurinen und führt in acht Puppenspielen selbst die Marionetten. Ihre Marionetten befinden sich heute im Stadtmuseum München.

Bereits 1936 stellt Maria Luiko bei den Münchner Polizeibehörden mehrmals Passanträge für Auslandsreisen. Aus ihren Briefen geht hervor, dass sie die Auswanderung nach Palästina plant, um hier das Marionettentheater fortzuführen. Ihre Anträge werden abgelehnt. So verfolgt sie weiterhin ihre künstlerischen Ziele im Jüdischen Kulturbund und kann auch mehrere Ausstellungstourneen durchführen. Einen Höhepunkt dieser Tätigkeit stellt die Ernennung als Repräsentantin bayerisch-jüdischer Künstler neben Rudolf Ernst und Elisabeth Springer an der Reichsausstellung Jüdischer Künstler 1936 im Berliner Jüdischen Museum dar. Ihre letzte offizielle Ausstellungsbeteiligung hat Maria Luiko im Frühjahr 1937 in den Clubräumen des Jüdischen Frauenbundes in Berlin.


Nicht lange nach den Ausschreitungen der „Kristallnacht“ 1938 werden den … jüdischen Bürgern die Reisepässe entzogen und mit einem „J“ gestempelt, zugleich werden sie gezwungen, die Zwangsvornamen Sara und Israel zu tragen.


Maria Luiko stellt ihre künstlerische Tätigkeit gezwungenermaßen nach der 1938 erfolgten Auflösung des Marionettentheaters immer mehr ein. Sie engagiert sich ehrenamtlich ab 1939 als Handarbeits- und Zeichenlehrerin an der Jüdischen Volksschule. Ihr letzter Brief an Ben-Chorin stammt vom 13. Juni 1939, in welchem der optimistische Ton der vorigen Briefe einer resignierten Haltung gewichen ist.
Aus der wirtschaftlichen Notlage heraus hat Maria Luiko Ende der 30er Jahre mit Metalltreiben ihre kunsthandwerklichen Fähigkeiten erweitern müssen, um verkaufbare Alltagsgegenstände herstellen zu können, wie sie in diesem Brief im Juni 1939 an Schalom Ben-Chorin berichtet.


„Ich habe seit einem Jahr nichts mehr gemalt. Nur Kunstgewerbe gemacht. Metalltreiben gelernt, überhaupt kunstgewerbliche Metallbearbeitung jeder Art. Ich finde das doch sehr nützlich. Ich kann jetzt Schalen, Aschenbecher und dergleichen machen, auch einfachere Arten von Stein fassen.“ Daneben arbeitet sie noch als Hilfsbibliothekarin in der Bibliothek der jüdischen Gemeinde.
In diesem letzten Zeugnis schildert sie des Weiteren die Bemühungen um eine Ausreisebewilligung und erwähnt die Bereitschaft, gemeinsam mit Elisabeth als Dienstmädchen nach England zu gehen, wenn sie nur eine Anstellung angeboten bekämen bzw. Kontaktpersonen oder Bürgen finden würden.

Mit der Zwangsenteignung der elterlichen Wohnung in der Loristraße 7 im September 1939 wird die Familie Kohn zu mehreren Ortswechseln gezwungen. Als Aufenthaltsorte nach dem Verlassen der Wohnung, in der die Familie 25 Jahre lebte, sind folgende Adressen bekannt: seit dem September 1939 die Frundsbergstraße in Neuhausen, ab Juli 1941 die Leopoldstraße, ab Oktober 1941 die Franz-Joseph-Straße in Schwabing und als letzte Adresse die Pension Musch in der Landwehrstraße.

Einige der Briefe von Elisabeth Kohn an ihren emigrierten Anwalts-Kollegen und Freund, Max Hirschberg, sind erhalten geblieben. Der Kreis um Dr. Max Hirschberg in New York bemüht sich verzweifelt, den beiden Schwestern eine Ausreise zu ermöglichen. So sammelt Hirschberg für die Schwestern die erforderliche Summe, um ihnen zu einer Ausreise nach Kuba zu verhelfen. Diese Hilfe kommt jedoch –infolge bürokratischer Hemmnisse - zu spät.
 
Im November 1941 erhält Maria Luiko zusammen mit ihrer Schwester und Mutter die Aufforderung, sich zur „Evakuierung“ bereit zu halten. Auf der Deportationsliste steht Marie Luise Kohn unter der Nummer 609. Ihre Mutter Olga Kohn, geborene Schulhöfer, und ihre Schwester Dr. Elisabeth Kohn sind mit ihr im Zug. Sie werden – zusammen mit rund 1000 Leidensgenossen - am 20. November 1941 nach Kaunas in Litauen verschleppt und dort am 25. November in Massenerschießungen ermordet. Marie Luise ist zu diesem Zeitpunkt 37, Elisabeth ist 39 und Olga Kohn ist 63 Jahre alt.

 

Nach dem Originaltext von Diana Oesterle 2009, ergänzt von Ilse Macek