Emil Emanuel Kurt Rosenthal, Filmschaffender

Emil Emanuel Kurt Rosenthal, mit dem späteren Künstlernamen Kurt Rosen, wird am 4. Oktober 1899 in München geboren. Er ist das erste Kind des Justizrates Dr. Wilhelm Rosenthal und seiner Frau Lisette, geborene Billmann.


Der Vater, Dr. Wilhelm Rosenthal, am 21. Dezember 1870 in Fürth geboren, stammte aus einer Kaufmannsfamilie, sein Vater war Emanuel Emil Rosenthal, geboren am 24. September 1826 in Uehlfeld, Mittelfranken (Landkreis Neustadt an der Aisch/Bad Windsheim), gestorben am 28. August 1880 in Fürth, dessen Vornamen sein Enkel trägt. Dr. Wilhelm Rosenthals Mutter Marie war eine geborene Dispeker, am 28. Juni 1833 in Baiersdorf geboren, am 14. Dezember 1910 in Nürnberg gestorben. Wilhelm war der Jüngste in einer Geschwisterreihe von acht Brüdern und zwei Schwestern.


Emils Großvater mütterlicherseits, der mit der Familie im Münchner Glockenbachviertel lebende Hopfenhändler Emanuel Billmann (9. Mai 1842 bis 10. November 1890) und die Großmutter Sidonie, eine geborene Löwenbach (13. Juni 1851 bis 12. Juni 1918) hatten neben der Ältesten, Lisette, die am 25. März 1874 zur Welt gekommen war, noch zwei Kinder, Hugo, geboren am 14. Mai 1875 und Marie, geboren am 1. Dezember 1877. 1901 hatte die Familie Billmann auch ein Anwesen in Pöcking erworben, wo Sidonie am 12. Juni 1918 im Alter von 67 Jahren starb. Das Anwesen hatte sie zu gleichen Teilen ihren beiden Töchtern Lisette und Marie vererbt. Marie hatte einige Zeit in Hamburg, dann in Berlin gelebt und war mit dem Bankdirektor Paul Stern verheiratet, der 1923 starb. Hugo Billmann, der Bruder von Lisette und Marie, war 1906 im Alter von nur 30 Jahren gestorben.


Dr. Wilhelm Rosenthal war im Oktober 1889 nach München gezogen, hatte Jura studiert und war 1896 als Anwalt zugelassen worden. Im Jahr darauf hatte er im Alter von 26 Jahren die 23-jährige, am 25. März 1874 in München geborene Lisette Billmann geheiratet. Das Ehepaar bekommt drei Kinder. Eineinhalb Jahre nach Emil Emanuel Kurt kommt am 10. Februar 1901 der zweite Sohn Karl Ernst und 14 Monate danach, am 8. April 1902, die Tochter Grete (Gretl) zur Welt. Mit Eintrag vom 2. September 1905 im jüdischen Standesregister, Emil ist noch keine sechs Jahre alt, wird die Zugehörigkeit der Familie zur jüdischen Gemeinde gestrichen.


Die Mutter Lisette stirbt am 1. Juni 1927 im Alter von nur 53 Jahren. Zwei Jahre später heiratet der 58-jährige Wilhelm in zweiter Ehe die 37-jährige Münchnerin Maria Schremsdörfer.


Dr. Wilhelm Rosenthal gehört viele Jahre zum Vorstand des literarisch führenden Akademisch-Dramatischen Vereins, der mit den Namen Arthur Kutscher, Frank Wedekind, Thomas Mann und Erich Mühsam verbunden ist. Er ist Mitbegründer des bedeutenden Münchner Theaterverlages („Dreimaskenverlag“) und des Münchner Künstlertheaters sowie der Münchner Lichtspielkunst, deren Aufsichtsrats-Vorsitzender er für lange Jahre wird. Er betätigt sich daneben als Anwalt in "Literarischen Prozessen" und aus seiner Feder stammen zahlreiche Publikationen zu literarischen und künstlerisch-rechtlichen sowie künstlerisch-wirtschaftlichen Themen.


So ist Emil das Künstlerische von des Vaters Seite sozusagen in die Wiege gelegt. Emil Rosenthal besucht zunächst von 1909 bis 1912 das Maximiliansgymnasium, wechselt dann zum Realgymnasium (das spätere Oskar-von-Miller-Gymnasium) und macht dort das Abitur. In den Matrikeln des Maximiliansgymnasiums ist seine Religionszugehörigkeit als „freireligiös“ vermerkt. Von 1916 bis 1918, demnach als 17- bis 19-Jähriger, nimmt er am Ersten Weltkrieg als Offiziersaspirant beim 2. Bayerischen Infanterie-Regiment teil. Das Regiment kämpft vor allem an der Westfront. Er wird schwer verwundet; beide Beine müssen amputiert werden. 1917 lässt er sich laut Taufzeugnis des Stadtpfarramts St. Lukas in München vom protestantisch taufen.


Emil arbeitet für die Münchner Lichtspielkunst AG EMELKA, wo sein Vater Vorsitzender des Aufsichtsrates ist, nachdem die GmbH 1919 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden war. Die Firmengeschichte der als bayerisches Pendant zur Berliner Universum Film AG (Ufa) 1918 gegründeten Münchner Lichtspielkunst AG liest sich als eine höchst erfolgreiche. Sie wurde in wenigen Jahren zum zweitgrößten Film- Konzern der Weimarer Republik und blieb dies bis Ende der 1920er Jahre. Das Unternehmen musste 1932 den Konkurs anmelden; ein Jahr später übernahm die Bavaria Film AG die Aktien und die Ateliers in Geiselgasteig. Das Produktionsgelände in Geiselgasteig bei München ist auch heute noch ein international bekannter Produktionsort.


1922 fungiert Emil Emanuel Rosenthal, nun unter dem Künstlernamen Kurt Rosen, als Produktionsmanager der Verfilmung von Lessings „Nathan der Weise“, die Regie führt Manfred Noa, die Schauspieler Werner Krauss, Fritz Greiner, Carl de Vogt und Lia Eibenschütz – alle noch heute bekannt – spielen die Hauptrollen. 1923 führt er mit Geza von Bolvary Regie in dem von der EMELKA produziertem (Stumm-) Spielfilm „Der Weg zum Licht“ mit Emil Fenyö, Gustav Fröhlich und Fritz Greiner. Die großen Regisseure und Theaterleute Karl Grune, Ewald André Dupont, Max Ophüls Kurt Horwitz, Fritz Kortner und Therese Giehse, allesamt EMELKA-Kollegen, gehen 1933 ins Exil.
Ab 1924 studiert Emil Rosenthal an der Ludwig-Maximilians-Universität Philosophie. 1925 bis 1926 hält er sich in den Niederlanden und Italien auf. 1926 heiratet er die Schauspielerin Margarete Bauer mit Künstlernamen Mary Bell. Die Ehe wird fünf Jahre später im Jahr 1931 geschieden. Bereits im Juli des gleichen Jahres heiratet Emil seine zweite Ehefrau Regina Loose. Sie ist 35 Jahre alt und stammt aus Obernik im Kreis Posen. Auch diese Ehe hält nur vier Jahre und wird 1935 wieder geschieden. Emils Künstlername, Kurt Rosen, wird Ende Oktober 1935 von der Politischen Polizeikommandantur Berlin gestrichen.

Inzwischen hat sein Bruder Karl Ernst Rosenthal am 31. Mai 1933 die am 2. März 1905 geborene Bella Ullmann geheiratet und ist mit ihr im Juli nach Palästina emigriert, wo sie in Jerusalem leben. Der Vater Dr. Wilhelm Rosenthal ist im September des gleichen Jahres im Alter von nicht einmal 63 Jahren gestorben. Die Todesursache ist unbekannt, jedoch kann vermutet werden, dass die Aufregungen um die Wiedererlangung seiner Anwaltszulassung, gepaart mit dem Verlust seiner Aufsichtsratstätigkeiten, seinen plötzlichen Tod am 13. September 1933 herbeiführten. Auf Betreiben der Münchner Rechtsanwaltskammer war ihm im Juni die Zulassung mit der Begründung entzogen worden, dass er seinen Anwaltsberuf wegen seiner sonstigen Tätigkeiten nur noch sporadisch ausgeübt habe. Nach aufreibenden Verhandlungen wurde sie ihm erst am 3. September vom Oberverwaltungsgericht wegen seiner großen wirtschaftlichen Verdienste wieder zugesprochen.


Emil Emanuels Schwester Grete hat in München einen guten Freund. Es ist Hans Kitzinger, der spätere Dr. Gad Kitron, der 1933 Deutschland verlässt, zunächst in Istanbul sein Jura-Studium beendet und dann nach Palästina emigriert. Mit ihm teilt sie die Vorliebe für die Schwabinger Künstlerszene und hat mit ihm beispielsweise des Öfteren den schon fast erblindeten Karl Wolfskehl besucht. Im März 1934 zieht Grete nach Berlin. Von dort aus ließ sich eine Emigration besser vorbereiten. Ob Grete dies anstrebte, wissen wir nicht. Der Schwester der Mutter, Marie Stern-Billmann, die explizit zu diesem Zweck im Oktober 1938 nach Berlin umzieht, gelingt es schließlich noch, sich im Oktober 1940 nach New York einzuschiffen, wenn auch mit enormen finanziellen Einbußen. Auch Emil Rosenthal hat wohl Anfang 1939 versucht, ins rettende Ausland zu entkommen. Jedenfalls wendet er sich an die Münchner Anlaufstelle der internationalen Hilfswerkes der Quäker, die unter Führung von Dr. Rudolf und Annemarie Cohen vielen Juden die Flucht ermöglichten und ihnen damit das Leben retteten.


Zwischen Juni 1936 und November 1938 ist Emil Rosenthal viermal umgezogen, zuletzt wohnt er in der Corneliusstraße 1, 1. Stock, im Gärtnerplatzviertel. Dort leben viele alleinstehende Münchner Juden in Untermiete. Die Wohnung hatte seit langer Zeit der Familie Bernhard Lewy gehört; die Erbin, Tochter Margarete, geschiedene Abeles, muss sie nun mit anderen Mietern teilen.


Seit 2. April 1942 befindet sich Emil Rosenthal im Krankenheim der Israelitischen Kultusgemeinde. Das Israelitische Krankenheim in der Hermann-Schmid-Straße 5 -7 wird auf Befehl der NS-Verwaltung in den ersten Junitagen des Jahres 1942 aufgelöst. Hausmeister des Krankenhauses ist seinerzeit Max Hirsch. Seine Tochter, Judy Hirsch-Rosenberg, heute 90 Jahre alt und in Montreal lebend, hat beschrieben, was damals geschah, eine dramatische Szene, in welcher Emil Rosenthal alias Kurt Rosen vorkommt:

„Ich weiß nicht mehr an welchem Tag genau, es war im Sommer 1942, als plötzlich zwei Möbellieferwagen vor dem Hospital hielten. Sie waren gekommen, um die Patienten abzuholen. Mein Vater bat die Gestapo um die Erlaubnis, auf die Böden Matratzen legen zu dürfen. Wer in der Lage war, schleppte nun Matratzen zu dem Laster und legte sie aus. Dann kletterten die Patienten, die gehen konnten, hinein. Diejenigen, die das nicht konnten, wurden von den Ärzten, Schwestern und anderen getragen. Mein Vater trug den jungen Mann ohne Beine; die Tränen liefen dem Vater über das Gesicht. Herr Rosen lächelte und sprach ihm Mut zu.


Dies geschah am hellen Tag... Niemand hielt es auf, niemand schaute hin, niemand stellte Fragen.


Die Ärzte und Krankenschwestern stiegen ebenfalls zu und fuhren mit den Patienten mit. Ich kann mich nicht erinnern, ob sie dazu gezwungen wurden oder es von sich aus taten.


Die Türen der Transporter wurden zugemacht und verriegelt, die Wagen fuhren los.


Es war ein schrecklicher Tag. Es war das erste Mal, dass ich meinen Vater so hilflos und verzweifelt sah. Er brach zusammen und konnte stundenlang nicht aufhören zu weinen.“

Am 3., 4. und 5. Juni 1942 werden alle Patienten, darunter Schwerstkranke und Sterbende, und eben auch Emil Rosenthal, Krankenschwestern und ärztliches Personal sowie der Chefarzt Dr. Julius Spanier und seine Ehefrau Zipora in Möbelwagen zu bereitstehenden Waggons am Südbahnhof transportiert, mit dem sie ins Ghetto Theresienstadt deportiert werden. Viele werden von dort in Vernichtungslager weiter geschickt.


Dr. Julius Spanier beschreibt in seiner Erinnerung eine Episode dieser „Evakuierung“, wie es in der NS-Amtssprache hieß, so:
„Während des Abtransportes war die Hermann-Schmid-Straße für den Verkehr gesperrt, nur ein Major der Wehrmacht durfte die Straße passieren. Als dieser des unheimlichen Transportes ansichtig wurde, frug er die Oberin nach dem Grunde dieses merkwürdigen Vorgangs. Als er von ihr wahrheitsgemäß unterrichtet war, rief er voll Entsetzen und ungeachtet der umstehenden Gestapo und SS mit lauter und wohlvernehmbarer Stimme aus: `Was? Kranke und sterbende Menschen? Ich schäme mich, ein Deutscher zu sein!´ Und diesem ersten Transport folgten dann in kurzen Abständen noch zwei weitere. Das Haus – Israelitisches Schwesternheim und Krankenheim in der Hermann-Schmid-Straße in München -, das so viel Gutes für alle Menschen, ohne Unterschied der Konfession, geleistet hatte, war entleert und geräumt.“

Emil Emanuel Kurt Rosenthal ist 42 Jahre alt, als er am 3. Juni 1942 nach Theresienstadt deportiert wird. Er kommt dort am 3. Februar 1944 um. Zwei Wochen später stirbt Emils Schwester Gretl Rosenthal am 19. Februar 1944 in Berlin, die Todesumstände sind nicht bekannt.
Die einzigen Überlebenden aus dem jüdischen Krankenhaus sind der Chefarzt Dr. Julius Spanier, seine Frau und zwei der Krankenschwestern. Dr. Spanier wird nach dem Krieg in München eine zweite große Karriere machen, doch dies ist eine andere Geschichte.
Emils Bruder, Karl Ernst Rosenthal, dem 1933 die Emigration nach Palästina geglückt war, hatte 1940 die zweite Ehe mit der 1915 geborenen Gabriele Straus geschlossen. Er stirbt am 6. Oktober 1985 in Kiryat Tivon, Israel. Er hinterlässt einen 1945 geborenen Sohn und, mindestens und soweit bekannt, zwei Enkel. 

 

Ilse Macek