Ben, genannt Benni Spanier, Theaterschauspieler und Regisseur

Ben Spanier kommt am 4. Oktober 1887 in München zur Welt. „Benni“, wie er liebevoll von seinen Eltern Joseph Ruben und Gretchen Spanier, geborene Weinbach, und sein Leben lang auch öffentlich genannt werden wird, ist der jüngste von vier Söhnen. Der älteste ist Jakob, 1879 geboren, der zweitälteste Julius, 1880 geboren, gefolgt von Ruben, der 1884 zur Welt kommt.


Die Mutter Gretchen stammt aus Harburg, Landkreis Donau-Ries in Schwaben; ihr Vater,  Loeb Michael Weinbach, ist dort Kantor und Lehrer, ihre Mutter ist Fanny Weinbach. Gretchen kam 1854 in Harburg zur Welt und ist 1909 in München gestorben. Sie hat zwei Schwestern, Elka, verheiratete Hausmann, und Rosalie, die schon als Vierjährige starb.


Bens Vater, Joseph Ruben Spanier ist als Börsenagent tätig, aus Hamburg gebürtig, dort 1952 geboren und 1919 in München gestorben. Dessen Vater ist der Kaufmann Ruben Spanier, die Mutter Karoline eine geborene Fränckel.


Ben beginnt seine schauspielerische Karriere 1910 im Stadttheater in Mülhausen im Elsass. Bis zum Ersten Weltkrieg hat er Engagements in Bern, in München und in Altona. Dann leistet er Kriegsdienst im Ersten Weltkrieg. Anschließend geht er nach Berlin ans Residenztheater, wo er auch sein Debüt als Regisseur gibt.


Lange hält es ihn nicht in Berlin. Von 1919 bis 1931 ist Ben Spanier Ensemble-Mitglied im Frankfurter Schauspielhaus. Dort macht er sich als Charakterdarsteller und als Regisseur einen Namen und feiert in diesen zwölf Jahren Bühnenerfolge in Carl Zuckmayers „Schinderhannes“, René Schickeles „Hans im Schnakenloch“ und František Langers „Die Bekehrung des Ferdisch Pistora“. Seine Kollegen in Frankfurt sind u.a. Heinrich George, Paul Verhoeven, Toni Impekoven, Fritz Odemar und auch jüdische Schauspieler, wie der später in Auschwitz ermordete Jakob Feldhammer und Lilli Kann, der die Emigration nach England gelingt. Nebenbei unterrichtet er auch an der zum Schauspielhaus gehörenden Schauspielschule.


Inzwischen hat Ben Spanier die am 30. August 1899 geborene Bella Klara Schottenfels geheiratet. 1928 kommt die Tochter Ruth zur Welt.
1932 zieht Ben Spanier wieder nach Berlin. In Berlin hält er sich mit der Hilfe des 1932 in Berlin vorübergehend tätigen Oberspielleiters des Schillertheaters, Fritz Hirsch, über Wasser, welcher ihm kleine Gelegenheitsarbeiten gibt. Fritz Hirsch geht 1933 wieder nach Den Haag; er hatte vor allem in den Niederlanden ein professionelles Operettentheater (die „Fritz-Hirsch-Operette“) mit Schauspielern und Sängern aufgebaut, die zwischen Den Haag und Berlin hin- und herpendeln.


Im Februar 1933 wird Ben Spanier entlassen; die Entlassungen jüdischer Künstler aus den staatlichen Kulturbetrieben nach Maßgabe des so genannten „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ sind in allen deutschen Theatern in vollem Gang. Auch in Frankfurt, dessen Schauspielhaus so lange die kulturelle Heimat Ben Spaniers war, werden Intendant Joseph Thurnau, der Oberspielleiter Hans Graf und andere Beschäftigte suspendiert. Hans Meissner übernimmt als Generalintendant ab Juni 1933 die Leitung der städtischen Bühnen und behält sie während der gesamten zwölf Jahre des nationalsozialistischen kulturpolitischen Diktats.


Als Reaktion gründet sich 1933 in Berlin der „Jüdische Kulturbund“ - zunächst mit der Bezeichnung „ Kulturbund Deutscher Juden“; jedoch ist die Verbindung der Begriffe Deutsch und Jude politisch unerwünscht und muss fallengelassen werden. Diesem Selbsthilfeverein für die vom Berufsverbot betroffenen jüdischen Künstler treten in den ersten Jahren seines Bestehens 20.000 Mitglieder bei. Neben dem Berliner Kulturbund, der ein Theater-Ensemble, eine Oper und ein philharmonisches Orchester unterhält, gründen sich sowohl im Rhein-Ruhr-Gebiet mit Köln und im Rhein-Main-Gebiet mit Frankfurt als Zentren regionale Niederlassungen. Köln unterhält nur ein unabhängiges Theater-Ensemble, Frankfurt hat ein philharmonisches Orchester mit dem ¬- 1936 nach den Vereinigten Staaten emigrierten - Hans Wilhelm Steinberg als Dirigenten an der Spitze.


Ben Spanier spielt beispielsweise im Oktober 1934 in der von Fritz Jessner inszenierten deutschen Erstaufführung von Stefan Zweigs „Jeremias" im Berliner Kulturbundtheater den König Zedekija mit Walter Hertner als Baruch. Fritz Wisten tritt als Jeremias auf, Lilli Kann als Jeremias´ Mutter. Fritz Jessner, der künstlerische Leiter und Regisseur des Berliner Kulturbundes, kann später emigrieren, ebenso Walter Hertner und Lilli Kann; Fritz Wisten wird aufgrund seiner Ehe mit der nichtjüdischen Schauspielerin Gertrud Widmann überleben.
1934 schließt sich Ben Spanier dem in diesem Jahr gegründeten Jüdischen Kulturbund Rhein-Ruhr an, wo er hauptsächlich Regie führt. Von Zeit zu Zeit tritt er noch als Schauspieler auf. Die letzte Aufführung des Kulturbundes, die Komödie „Spiel im Schloß“ von Ferenc Molnár wird von ihm inszeniert. Er ist „langjähriger Angestellter der jüdischen Kultusvereinigung“ mit 175 RM Monatseinkommen, seine Frau Bella ist Arbeiterin in der Fabrik von Osram an der Warschauer Brücke mit einem Wochenlohn von 20 RM; so reicht es ihm und seiner Frau für die Miete der Wohnung in Wilmersdorf, Prager Straße 10.


Die Tochter, Ruth Spanier, kann am 24. August 1939 mit dem letzten Kindertransport aus Berlin entkommen. Damit es Ruth, sie ist erst 11 Jahre alt, nicht so schwer fällt, nach England zu reisen, wird sie von den Eltern gefragt, ob sie denn gerne in den Ferien nach England zum Englisch lernen fahren will; sie würden bald nachkommen. Dann halten sie über die Kurzbriefe des Roten Kreuzes, die nur 25 Worte erlauben, Kontakt mit ihrer Tochter, immer mit dem Versprechen, bald wieder vereint zu sein. Ruth ist in der Familie eines Londoner Rabbiners untergebracht, der aber mit ihr nicht viel anzufangen weiß. Sie wird mit 14 Jahren aus der Schule genommen und muss einen Vorbereitungskurs in Schottland für die Auswanderung nach Palästina besuchen. Doch Ruth will nicht nach Palästina. Sie kehrt als junge Frau nach dem Krieg nach London zurück, und lebt dort weiter.


Eineinhalb Jahre vor Auflösung des Jüdischen Kulturbundes im September 1941, können Ben Spanier und seine Frau Bella die Miete nicht mehr zahlen und sind gezwungen, ab 1. Januar 1940 in eine kleine Wohnung im 1. Stock des Gartenhauses in der Trautenaustraße 20 umzuziehen. Zwei Zimmer mit Küche, die sie sich mit der Untermieterin Ida Katzenstein teilen. Dort fertigen sie, um sich ein wenig Geld zu verdienen, auf zwei geliehenen Nähmaschinen Militärhosen. Ida Katzenstein wird im August 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo sie am 14. Mai 1943 umkommen wird.


Am 18. Mai 1943 werden auch Ben Spanier und seine Frau Bella in das Ghetto  Theresienstadt deportiert. Dort führt Ben Spanier das „Spiel im Schloß“ von Molnár noch einmal mit Schicksalsgefährten aus dem Ghetto auf. Er tritt auch zwischen Herbst 1943 und August 1944 noch in Gotthold Ephraim Lessings „Nathan der Weise“ und „Jettchen Gebert“ (von Georg Herrmann) auf und rezitiert des Öfteren klassische Balladen und Gedichte. Am 12. Oktober 1944, acht Tage nach seinem 57. Geburtstag, wird Ben Spanier mit seiner 45-jährigen Ehefrau Bella in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert, wo beide unmittelbar nach ihrer Ankunft ermordet werden.


Jakob Spanier, der acht Jahre ältere Bruder arbeitete als Bankier in Krumbach, wo er auch die Jüdische Gemeinde leitete. Er kann mit seiner Ehefrau Bella und der Tochter Gretchen, benannt nach ihrer Großmutter, über London nach New York emigrieren. Er stirbt dort 1968.
Julius Spanier, der sieben Jahre ältere Bruder von Ben, absolviert in München an der Ludwig-Maximilians-Universität ein Medizinstudium, promoviert 1904 und lässt sich in Berlin zum Kinderarzt ausbilden. Dort lernt er seine spätere Ehefrau Zipora kennen. Auch er nimmt am Ersten Weltkrieg als Sanitätsoffizier teil. Danach arbeitet er als Kinderarzt und Schularzt in München. Von 1926 bis 1928 ist er Vorsitzender der „Münchner Gesellschaft für Kinderheilkunde“. Ab April 1933 darf er seine  Tätigkeit als Säuglingsfürsorgearzt des Münchner Bezirksverbandes nicht mehr ausüben. Im Juli 1938 wird den jüdischen Ärzten ihre Approbation entzogen; Julius Spanier erhält mit weiteren 13 anderen Ärzten ab 1. Oktober 1938 eine Ausnahmegenehmigung und kann als „Krankenbehandler“ für jüdische Patienten weiter arbeiten. Im Herbst 1939 übernimmt er die Leitung des Israelitischen Krankenheims in der Hermann-Schmid-Straße 5–7; seine Frau Zipora unterstützt ihn in der Klinik. Er wird als Vertrauensmann in der "Heimanlage für Juden" in Berg-am-Laim und im Arbeitslager "Flachsröste Lohhof" eingesetzt.


 Am 4. Juni 1942 wird Julius Spanier zusammen mit seiner Frau, 22 Krankenschwestern und allen Patienten des Krankenheims nach Theresienstadt deportiert. Dort ist er weiterhin ärztlich tätig. Nur er, seine Frau und zwei der Schwestern überleben die drei Deportationen des jüdischen Krankenheimes. Das Ehepaar kehrt nach München zurück, wo Dr. Julius Spanier in hohen beruflichen und ehrenamtlichen Funktionen weiterwirkt und im Alter von 78 Jahren 1959 stirbt. Seine Frau Zipora stirbt elf Jahre nach ihm.


Über den Bruder Ruben, der wie Ben Spanier in Berlin lebt, ist wenig bekannt. Der 58-jährige wird am 26. September 1942 zusammen mit seiner Frau Lotte Spanier, geborene Norden, 1905 in Berlin geboren, mit einem Transport deportiert, der am 24. September ab Frankfurt am Main über den Güterbahnhof Berlin-Moabit am 26. September weiter nach Raasiku bei Reval in Estland geht. In den dortigen Arbeitslagern müssen die jüngeren arbeitsfähigen Männer und Frauen Zwangsarbeit leisten. Aber es werden auch viele der Deportierten unmittelbar nach Ankunft in den nahe gelegenen Ostseedünen ermordet.


Ben Spaniers Nichte, die Tochter seines Bruders Jakob, Gretl Schwabe-Spanier aus New York, hat 1988 in Yad Vashem für Ben Spanier ein Gedenkblatt erstellt.


Seine in London lebende Tochter Ruth Margarete Wing, geborene Spanier, hat 1998 ebenfalls ein Gedenkblatt erstellt, das auch ein Foto aufweist. Sie hat des Weiteren 2009 für ihre Eltern zwei Stolpersteine vor dem ehemaligen Wohnhaus in Wilmersdorf verlegen lassen.

 

Ilse Macek