Jüdisches Wirtschaftsleben

Maffeistraße 4

Jüdisches Wirtschaftsleben

 

Schon im 18. Jahrhundert spielen Jüdinnen und Juden im Münchner Wirtschaftsleben eine wichtige Rolle. Seit ihrer rechtlichen Gleichstellung im Jahr 1871 prägen immer mehr kleine und große jüdische Firmen das Stadtbild. Wie wir schon an den vorherigen Stationen erfahren haben, sehen sich jüdische Geschäftsleute nach der Machtübernahme Boykotten und einer schleichenden Verdrängung ausgesetzt. Viele Unternehmen müssen schließen.

 

Dennoch existieren Anfang des Jahres 1938 in München immer noch ca. 1.700 Geschäfte, die im Besitz von Juden sind. Wir wissen das so genau, weil das städtische Gewerbeamt 1937 ein Verzeichnis herausgibt, in dem sie aufgelistet sind. Das Verzeichnis dient der Diffamierung der jüdischen Gewerbetreibenden Münchens. Die SA verwendet es in der Kristallnacht, um systematisch die Geschäfte von Juden zu zerstören. Außerdem dient es als wichtige Grundlage für die so genannten „Arisierungen“, die nach dem 9.November 1938 schlagartig verschärft werden.

 

Am Beispiel der Maffaistraße 4 lässt sich die Präsenz von Juden im Wirtschaftsleben der Stadt gut zeigen. In den 1930er Jahren existieren dort sechs Firmen, an denen Juden maßgeblich beteiligt sind. Einige davon möchten wir Ihnen näher vorstellen.

 

Die Textilhandlung Siegfried Thalheimer hat z.B. hier ihren Sitz. Eine Teilhaberin ist die 1863 geborene Witwe Henriette Thalheimer. Am 24. September 1938 wird die Firma abgemeldet, ihr Sohn Julius emigriert im November schließlich in die USA. Henriette Thalheimer gelingt es noch 1940 in die USA zu entkommen, wo seit 1939 auch Sohn Jakob lebt. Der dritte Sohn konnte schon 1937 in die Schweiz ausreisen.

 

Der 1884 geborene Kaufmann Richard Frank betreibt in der Maffeistraße 4 einen Groß- und Kleinhandel mit technischen Neuheiten und eine Patentverwertung. Er stirbt 1938 in München. Seiner Witwe Elisabeth und seinem Sohn Hans Peter gelingt im Frühjahr 1939 die Ausreise nach New York.

 

Auch das Bankhaus "Gebr. Schwarzhaupt" befindet sich hier. Louis Winkler übernimmt die Bank von seinem Schwiegervater Karl Schwarzhaupt, später tritt sein Sohn Heinz Winkler in die Bank ein. Louis Winkler wandert 1937 gemeinsam mit seiner Ehefrau Rosa nach Meran aus. Von Italien aus reisen sie 1938 über Kuba in die USA weiter, wo ihr Sohn Heinz schon seit 1936 lebt. Auch der zweite Sohn Franz und die Tochter Hilde emigrieren in die USA.

 

Dr. Ernst Wilmersdoerffer, geboren 1890, führt bis zu seinem Tod 1933 eine Anwaltskanzlei im zweiten Stock des Gebäudes. Von 1933 bis 1938 arbeitet hier Dr. Robert Oskar Held. Er ist bis 1933 Vorstandsmitglied der "Deutschen Anwaltskammer" München. 1933 wird er von den Behörden zweimal in Schutzhaft genommen und erhält Berufsverbot, das schließlich wieder aufgehoben wird. Im Oktober 1938 emigriert er mit einem Sondervisum in die USA, da seine Ehefrau, Tilla Held, US-Bürgerin ist. Oskar Held ist nun für den „National Refugee Service“ tätig, der Juden bei ihrer Flucht aus Europa hilft, sowie Mitbegründer der „American Association of Former European Jurists“. Nach dem Krieg spezialisiert er sich auf Rückerstattungs- und Entschädigungsfälle. Nach dem Tod seiner Frau kehrt Dr. Held 1971 nach Deutschland zurück. Er lebt bis zu seinem Tod 1977 in Starnberg.

Simone Halbach