Die Schwestern Hiller

Burgstraße 3

 

Über das Leben der meisten Menschen, die millionenfach Opfer der Shoah geworden sind, wissen wir nur wenig. Auch über die Hiller-Schwestern sind nur wenige Informationen bekannt. Shoah ist hebräisch und heißt Katastrophe, dieser Begriff wird von vielen Juden eher verwendet als Holocaust.

Anna, Johanna, Rosa und Hedwig Hiller leben seit 1972 in dem Haus in der Burgstraße 3, das früher auf dem Anwesen hinter uns stand. In diesem Jahr erwirbt der Vater Samuel Hiller das Haus für 10.000 Gulden. Zehn Jahre zuvor hat der Münchner Magistrat dem 1818 in Günzburg geborenen Kaufmann das Bürgerrecht verliehen. 1864 heiratet Samuel Hiller die in Hüttenbach geborene Gertrud Luber. Die vier Töchter kommen zwischen 1867 und 1876 zur Welt. Anna, die Älteste, stirbt bereits 1928. Es ist nicht bekannt, wer das Haus in der Burgstraße 3 nach dem Tod von Samuel Hiller im Jahr 1876 erbt, aber wir wissen, dass Rosa Hiller Anfang des 20. Jahrhunderts Eigentümerin des Hauses ist.

In den Archiven hinterlassen Frauen meist sehr viel weniger Spuren als Männer, insbesondere, wenn sie wie die drei Hiller Schwestern ledig sind. Die überlieferten Meldeunterlagen enthalten kaum Hinweise. Aus ihrer Kennkarte von 1939 geht hervor, dass Johanna Hiller als Kassiererin arbeitet und auf dem rechten Auge erblindet ist. Die drei Schwestern leben gemeinsam in der Burgstraße 3.

Etwas mehr wissen wir über ihr Schicksal in der NS-Zeit. Am 30. Januar 1934 stirbt Hedwig Hiller im Alter von nur 58 Jahren. Ihre beiden Schwestern Johanna und Rosa werden im Oktober 1940 gezwungen, ihr Elternhaus zu verlassen, in dem die Familie seit nunmehr 68 Jahren lebt. Die Nationalsozialisten ghettoisieren die Münchner Juden in sogenannten „Judenhäusern“ und in Sammellagern. Johanna und Rosa werden im überfüllten Krankenhaus der Israelitischen Kultusgemeinde untergebracht, das ebenfalls als Sammelunterkunft dient. Hier bleiben die beiden Schwestern bis zu ihrer Deportation am 06. Juni 1942 in das Ghetto  Theresienstadt.

 

Kurz vor dem Transport werden die Bewohner des Krankenhauses von der Gestapo  nach Milbertshofen gebracht, wo sich ein großes Lager für die Münchner Juden befindet. Die 15 jährige Judith Hirsch wird Zeugin des Abtransportes, als sie im Juni 1942 ihren Vater im Jüdischen Krankenhaus besucht, der dort als Hausmeister arbeitet. Später erinnert sie sich an die Vorkommnisse: „Zwei Möbellieferwagen waren gekommen, um die Patienten abzuholen. Mein Vater bat die Gestapo um die Erlaubnis, auf die Böden Matratzen legen zu dürfen. Dann kletterten die Patienten, die gehen konnten, hinein. Diejenigen, die das nicht konnten, wurden von Ärzten, Schwestern und anderen getragen. Das geschah am hellen Tag. Zwei Tage nacheinander. Niemand hielt sie auf, niemand schaute hin.

 

Im Sommer 1942 gehen von München 24 Einzeltransporte à 50 Personen ab. Mit diesen Transporten werden 1195, meist ältere Jüdinnen und Juden nach Theresienstadt verschleppt. Zwei Drittel von ihnen sind Frauen, darunter auch Johanna und Rosa Hiller.

Das Lager Theresienstadt dient in der nationalsozialistische Propaganda als „Vorzeigelager“. Tatsächlich sind die Lebensumstände in dem 60 km nördlich von Prag gelegenen Ghetto und Transitlager katastrophal. So beschreibt es die Schriftstellerin Gerty Spies ihre Ankunft in Theresienstadt folgendermaßen: „Das Leben – Enge, Ungeziefer, Hunger, Zwang und Angst, alles war grauenvoll, das Dasein unerträglich, der Körper schwach, die Nerven zerrüttet, ein Weiterleben unmöglich.

Die mangelhafte Ernährung und die fehlende medizinische Versorgung fordern viele Todesopfer gerade unter den Älteren und Schwachen. Johanna Hiller stirbt kurz nach ihrer Ankunft in Theresienstadt am 18. Juni 1942. Ihre Schwester Rosa stirbt am 6. Dezember 1942. Von den 50 Personen, die mit ihnen zusammen nach Theresienstadt verschleppt worden waren, überlebt niemand.

 

Ariella Chmiel