MÜNCHNER "WEG DER ERINNERUNG"

Familie Bamberger Herren- und Knabenbekleidungsgeschäft Bamberger & Hertz

Siegfried Bamberger, genannt Fritz, wird am 6. Mai 1885 als siebtes Kind des Kaufmanns Jacob und Friederike Bamberger, geborene Strauß, in Worms geboren. Fritz hat sechs ältere Geschwister: Heinrich wird 1877 geboren, Max 1878, Helene 1879, Gustav 1880, Anna 1881, Ludwig Philipp 1882. 

 

Vater Jacob eröffnet das erste Konfektionsgeschäft „Bamberger § Hertz“ 1876 in Worms. Teilhaber ist sein Schwager Karl Hertz. Filialen in Frankfurt am Main, Stuttgart, Saarbrücken, Köln, Leipzig und in München, 1914 eröffnet, folgen. Alle Brüder treten in die Fußstapfen des Vaters und sind in der Bamberger & Hertz OHG tätig; Schwager Leo Oppenheimer, Helenes Ehemann, leitet die Filiale in Saarbrücken.

 

Nachdem Fritz 1901 das Gymnasium beendet hat, absolviert er eine Kaufmannslehre in Bochum und schließt ein Jahr als Volontär in einem gehobenen Bekleidungsgeschäft in Brüssel, Belgien, an. Danach war er für ein Jahr in der Frankfurter Filiale der Bamberger & Hertz-Häuser tätig. 1906 schifft sich Fritz Bamberger in Antwerpen nach New York an Bord der "Kroonland" ein. In New York ist er in der Textil- und Kaufhausbranche tätig. Er kehrt 1909 nach Deutschland zurück und arbeitet in diversen Filialen des Familienbetriebes.

 

Er ist Weltkriegsteilnehmer und dient bei der 3. Bayerischen Feldartillerie. Mutter Friederike Bamberger, geborene Strauß, stirbt im Februar 1917. 1918 zieht Fritz Bamberger nach München und leitet mit seinem Bruder Heinrich die Münchner Kaufhaus-Filiale. Er wohnt in der Hohenstaufenstraße 7/IV in Schwabing.

 

Im März 1926 heiratet der 40-jährige Fritz Bamberger die aus Saaz in Böhmen (heute Žatec, Tschechien) gebürtige 21-jährige Lotte Sophie Maria Krafft. Das Ehepaar bekommt zwei Kinder, Klaus im Dezember 1926 und Lisbeth im Januar 1931. Ab 1930 lebt die Familie im eigenen Haus in der Redwitzstraße 8 am Isar-Hochufer in Bogenhausen.

 

Einer der Brüder von Fritz, Max Bamberger, stirbt bereits im Februar 1928 mit nur 40 Jahren in München. Er wird im Grab des Vaters auf dem Jüdischen Friedhof „Heiliger Sand“ in Worms, dem ältesten jüdischen Friedhof Europas, beerdigt.

 

Heinrich Bamberger emigriert in die Schweiz, wo er im Februar 1934 mit 57 Jahren in Zürich „an gebrochenem Herzen“ stirbt, wie es seine Schwägerin Lotte in ihrer späteren Biografie schreiben wird.

 

Die Niederlassung der Bamberger & Hertz OHG in Saarbrücken muss aufgrund des stetigen Umsatzrückgangs 1934 schließen. Schwester Helene Oppenheimer emigriert 1935 mit ihrem Mann nach Paris und stirbt im April 1943 in Aix-en-Provence, Südfrankreich. Ihr Ehemann Leo überlebt die Shoah in Frankreich und stirbt dort im April 1950. Sie haben zwei Kinder: Max Ophüls, 1902 in Saarbrücken geboren, verheiratet mit der Schauspielerin Hilde Wall, der seinen Künstlernamen 1920 annimmt und ein bedeutender deutsch-französischer Film- Theater und Hörspielregisseur wird, und Friedl Bamberger, verheiratete Heilbronner, 1909 geboren. Max Ophüls hatte Berlin bereits 1933 verlassen und war nach Paris gezogen, 1941 dann weiter nach Kalifornien. Friedl Heilbronner emigriert von Frankreich nach Buenos Aires, Argentinien.

 

Die 1904 gegründete Frankfurter Filiale wird bereits 1935 „arisiert“ und an Peek & Cloppenburg veräußert.

 

Fritz und seine beiden Brüder Gustav und Ludwig sowie Schwester Anna, verheiratete Siegel, bleiben im Deutschen Reich, Fritz in München, Gustav in Stuttgart, Ludwig Philipp in Leipzig, Anna in Frankfurt.

 

Nun geht es Schlag auf Schlag. In Leipzig tritt Ludwig Bamberger – gezwungenermaßen - als Gesellschafter aus und bleibt Prokurist; sein Bruder Gustav führt das Kaufhaus als Inhaber weiter. In der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November brennt das Konfektionshaus fast vollständig ab. Der Familie Bamberger wird vorgeworfen, den Brand selbst gelegt zu haben. Gustav und Ludwig Bamberger werden unter dem Verdacht „der Brandstiftung und des Versicherungsbetruges“ in Haft genommen. Das Geschäftshaus muss auf Kosten der Besitzer wieder in Stand gesetzt werden, bevor es im Dezember 1938 liquidiert wird. Auch die Stuttgarter Filiale, Prokurist ist der jüdische Paul Oesterreicher, wird in der Nacht vom 9. auf den 10. November verwüstet und anschließend liquidiert.

 

Ende 1938 sind alle Häuser zwangsverkauft bzw. aufgelöst.

 

Auch in München muss zwangsverkauft werden; jedoch laufen die Vorgänge um die „Arisierung“ des Bekleidungshauses „Bamberger und Hertz“ anders ab. Wenigstens kann Fritz Bamberger einen Käufer finden, den er über Jahre kennt und dem er vertraut.

 

Wie in allen Filialen sind auch in München die Umsätze aufgrund des Boykotttages am 1. April 1933 und wiederholter Störungen von Werbeaktionen bis 1938 erheblich zurückgegangen. Im Mai 1938 dringt ein antisemitischer Mob in die Geschäftsräume ein, schlägt Kunden und droht das Geschäft zu zerstören. Der seit 1915 dem Betrieb angehörige, seit 1933 als Leiter des Einkaufs für alle Häuser mit Prokura ausgestattete Hans Hirmer schließt das Geschäft und erstattet Anzeige bei der Polizei.

 

Spätestens seit diesem Vorfall versucht Fritz Bamberger, das Unternehmen zu verkaufen. Die gesamte Bamberger & Hertz Gruppe an Peek & Cloppenburg zu verkaufen, wird von den Behörden abgelehnt. 1936 wird die OHG aufgelöst und versucht, die verbliebenen Filialen einzeln an den Mann zu bringen.

 

Die leitenden Münchner Angestellten Hans Hirmer und Emil Haller, und der zusätzliche Gesellschafter Theodor Döring aus Potsdam übernehmen durch Kauf alle Werte von Bamberger & Hertz und gründen am 25. August 1938 die Hirmer & Co. KG. Ein mündliches Agreement zwischen Fritz Bamberger und Hans Hirmer wird neben den offiziellen, für Fritz Bamberger - auf Druck der NS-Behörden - ungünstigen Verträgen getroffen. Hans Hirmer sagt zu, das Unternehmen treuhänderisch als „Sachwalter“ zu führen, so dass Bamberger eines Tages eine Rückkehr ermöglicht sein würde.

 

Am Samstag, 5. November 1938, eröffnet das Textilhaus unter dem neuen Namen Hirmer. Am 9. November bleibt das Haus in der Pogromnacht deswegen weitgehend verschont. Das Unternehmen von Fritz Bamberger wird „am 11.11.1938 für 31.10.1938 abgemeldet, da die Firma vom Nachfolger bereits übernommen ist“.

 

Fritz Bamberger dahingegen wird am 10. November – zusammen mit rund 1000 jüdischen Münchnern – als "Aktionshäftling" in das Konzentrationslager Dachau verschleppt, wo er einen Monat inhaftiert bleibt und am 10. Dezember 1938 entlassen wird.

 

Seine Kinder Klaus und Lisbeth emigrieren alleine am 12. November 1938 über Zürich und Frankreich nach England, von Verwandten weitergeleitet und in England empfangen. Klaus ist noch keine 12, Lisbeth ist 7 Jahre alt. Fritz Bamberger erhält schließlich die Pässe und eine Ausreisegenehmigung und emigriert zusammen mit seiner Frau am 27. März 1939 nach England. Die Kaufsumme für das Münchner Bekleidungsgeschäft liegt auf einem Sperrkonto und ist zu diesem Zeitpunkt nicht ausgezahlt. Die Gelder werden von der Oberfinanzdirektion zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen. Aber wenigstens ist die Familie Ende März 1939 in England wieder vereint. Von dort emigriert sie am 5. März 1940 nach New York. Nach kurzem Aufenthalt übersiedelt sie nach Kalifornien.

 

Paul Oesterreicher, der aus Prag stammende Prokurist der Stuttgarter Niederlassung, wird von dort im Alter von 62 Jahren am 26. April 1942 in das Ghetto Izbica deportiert und ermordet.

 

Die Schwester von Fritz, Anna Siegel, wird von Frankfurt mit ihrem Ehemann Siegfried am 1. September 1942 nach Theresienstadt deportiert und kommt am 16. Dezember im Alter von 61 Jahren um; ihr Mann wird am 15. Mai 1944 nach Auschwitz deportiert und im Alter von 70 Jahren ermordet. Ihre Tochter Frieda, seit 1935 verheiratet mit dem Kurator des "Museums Jüdischer Altertümer" Hermann Gundersheimer, kann 1939 über England in die USA emigrieren. Frieda stirbt im Juni 2004.

 

Auch die beiden im Deutschen Reich verbliebenen Brüder von Fritz werden Opfer der Shoah. Gustav Bamberger wird von Berlin am 5. September 1942 nach Riga deportiert, wo er drei Tage später, am 8. September, im Alter von 62 Jahren ermordet wird. Ludwig Philipp Bamberger wird mit seiner Frau Olla (Olga), geborene Kestenbaum, von Leipzig am 20. September 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo er mit 60 Jahren am 8. Dezember 1942 umkommt. Olla Bamberger kommt dort noch kurz vor der Befreiung am 20. April 1944, sechs Tage nach ihrem 49. Geburtstag, zu Tode.

 

Restitution an Fritz Bamberger in der Nachkriegszeit

 

Hans Hirmer nimmt 1945 Kontakt zu Fred Bamberger auf, kann aber erst wieder operativ tätig werden, nachdem die amerikanische Militärregierung, die Lothar Bernstein, einen früheren Angestellten der Bamberger & Hertz OHG bis Dezember 1949 als Treuhänder eingesetzt hat, die Bestimmungen aufhebt.

 

Die Verhandlungen gestalten sich teilweise für beide Seiten zunächst enttäuschend. Fred Bamberger vermisst bei Hans Hirmer das Verständnis für sein hartes Schicksal als Emigrant und seine wirtschaftliche Not in den Anfangsjahren in den USA; umgekehrt ist Hans Hirmer gekränkt, dass Bamberger den juristischen Weg über die Gesetze der Militärregierung wählt, obwohl er sich doch an das 1938 getroffene Agreement gehalten habe.

 

Schließlich wird ein Rückerstattungsverfahren vor der Wiedergutmachungsbehörde I Oberbayern eingeleitet. Dies bestimmt eine vollumfängliche Rückübertragung aller Vermögenswerte zum 21. Juni 1948; die Löschung der Treuhänderfirma wird nahegelegt und gleichzeitig eine Neugründung von Hirmer & Co. KG als Komplementär mit Fritz Bamberger als Kommanditist. Im Gesellschaftsvertrag regeln beide Partner die Anteile am gemeinsam neu gegründeten Unternehmen unter Berücksichtigung der unternehmerischen Leistung von Hans Hirmer zwischen 1938 und 1949.

 

Fred Bamberger verbleibt nach dem Vergleich in USA, er will nicht mehr in Deutschland leben. Das Verhältnis zwischen beiden Partnern bleibt zumindest geschäftlich schwierig, bis es 1951 – motiviert durch die Sorge hinsichtlich der finanziellen Altersvorsorge für die Familie seitens Fritz Bambergers – zu einer Abfindung in Höhe von 688.000 DM für Fritz Bamberger kommt, der damit auch rückwirkend zum Ende des Jahres 1950 aus der Firma ausscheidet.

 

Im Laufe der Jahre entwickelt sich zwischen beiden Familien eine persönliche Freundschaft.

 

Der Sohn von Fritz, Klaus Bamberger, hatte nach der Ankunft in USA seinen Vornamen nach dem Präsidenten Roosevelt in Franklin Delano geändert. Über ihn konnte nicht mehr in Erfahrung gebracht werden. Die Tochter Lisbeth heiratete 1967 den bekannten Fernsehjournalisten Daniel Schorr. Der Ehe entstammen zwei Kinder, Jonathan und Lisa, verheiratete Kaplan.

 

Fred Bamberger stirbt am 2. November 1976 im Alter von 91 Jahren in Los Angeles, Kalifornien. Seine Ehefrau Lotte Sophie stirbt dort im Alter von fast 102 Jahren. Das Ehepaar ist im Westwood Memorial Park in Los Angeles begraben.

 

 Ilse Macek