Wolfgang und Stefanie Bacharach

 Wolfgang Jakob Bacharach wird am 29. Dezember 1922 geboren, Stefanie Johanna Bacharach am 25. Dezember 1927. Zu diesem Zeitpunkt lebt die Familie schon seit gut einem Jahr im Erdgeschoß einer schönen Villa am Isar-Hochufer an der Pienzenauerstraße 6 in Bogenhausen. Vorher, als Stefanie noch nicht auf der Welt war, hatte die Familie im 2. Stock am Marienplatz, Haus Nr. 2 gewohnt. Stefanie geht sicher in die Volksschule an der Gebelestraße, dort gibt es viele jüdische Schüler; Wolfgang wird mit 10 Jahren auf ein Gymnasium wechseln.

 

Ihr Vater, Karl Bacharach, kommt am 14. Februar 1885 in Fürth zur Welt. Er entstammt einer alteingesessenen Fürther Kaufmannsfamilie und wohnt mit seinen Eltern und den sechs Geschwistern Betty, Hugo, Max, Julius, Leo und Emmi in der Schwabacher Straße 9 im Zentrum von Fürth. Auch die Urgroßeltern von Wolfgang und Stefanie, Marx Bacharach und Marie, geborene Rosenthal, waren schon dort ansässig. Ihr Großvater, Jakob Bacharach, ein geborener Fürther, wird 77 Jahre alt und verstirbt 1916, die Großmutter Philippine, geborene Simon, die aus dem fränkischen Teil Thüringens stammte, starb schon 1901 mit nur 53 Jahren. Beider Namen sind auf einem Grabstein aus schwarzem Marmor im Fürther jüdischen Friedhof verewigt.

 

Karl Bacharach meldet sich am 7. Januar 1904 in München an. Zu diesem Zeitpunkt ist er knapp 19 Jahre alt. Es ist anzunehmen, dass er an hier an der Medizinischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität sein Studium beginnt; er studiert dann auch in Erlangen und erlangt seine Approbation nach fünf Jahren, 1909. Er absolviert eine Facharztausbildung zum Röntgenologen. Im Dezember 1911 ist er in Heidelberg gemeldet, bevor er 1913 für kurze Zeit am städtischen Krankenhaus in Fürth arbeitet. Dann kommt er wieder nach München und unterhält eine Praxis in der Kaufingerstraße 11.

 

Die Münchner Wohnung im 2. Stock des Hauses am Marienplatz 2 bezieht er am 4. Februar 1919. Im Juli 1921 heiratet er die 29-jährige Feige Franziska Kleinhaus, genannt Fanny, die am 1. Februar 1891 in Rzeszów geboren ist, das damals im österreichischen Teil Galiziens lag und nach dem 1. Weltkrieg wieder polnisches Staatsgebiet wurde. Fannys Vater, Juda Julius Kleinhaus, war mit seiner Frau Hinde Johanna, geborene Korngold, und den zwei Töchtern Dora und Fanny 1892 nach München gekommen und hat sich hier als Kaufmann eine Existenz aufgebaut. Viele Juden kamen ins deutsche Kaiserreich im Zuge der mit den Pogromen in Russland 1881 beginnenden großen Auswanderungswelle nach Mittel- und Westeuropa.

 

1897 bekommt Fanny noch einen kleinen Bruder, Emil Moses. Emil Moses Kleinhaus, wird Arzt, Röntgenologe, so wie Karl Bacharach. Die ältere Schwester von Fanny, Dora Kleinhaus wird ebenfalls Ärztin, heiratet Walter Siegbert Weiß und bekommt mit ihm drei Kinder; eine ihrer beiden Töchter, die kleine Hanne, stirbt mit nur 9 Jahren 1933 in München. Den Tod der mit Wolfgang fast gleichaltrigen Cousine erleben Stefanie und Wolfgang Bacharach, also bewusst mit.

 

Wolfgang Jakob und Stefanie Johanna wachsen in einer großen Familie auf, mit Onkeln und Tanten, Cousins und Cousinen. Es geht ihnen wirtschaftlich gut. Vater Karl ist auch Besitzer eines vierstöckigen Mietshauses in der Nußbaumstraße 8.

 

1935 gibt Dr. Karl Bacharach unter dem Druck, unter dem alle jüdischen Ärzte stehen, seine Praxis in der Kaufingerstraße auf; daneben ist er noch bis Ende des Jahres in einem privaten Röntgeninstitut in der Sophienstraße angestellt. Die Familie emigriert am 26. November 1935 nach Zürich, 1936 nach Spanien, wo sein Bruder Hugo Bacharach lebt.

 

Am 23. Juni 1936 begehen Dr. Karl und Fanny Bacharach in Valencia Suizid mit Leuchtgas. Die beiden Kinder nehmen sie mit in den Tod. Wolfgang Jakob erlebt seinen 14. Geburtstag nicht mehr, Stefanie Johanna ist 8, Mutter Fanny 45, Vater Karl 51 Jahre alt. Dieser trostlose Suizid der emigrierten Familie ist Inhalt eines kleinen Artikels in der französischen Zeitung „Le Matin“ vom 26. Juni 1936.

 

Für Dr. Karl Bacharach und seine Familie steht im Neuen jüdischen Friedhof in München ein Grabstein; das Grab ist nicht belegt.

 

Vater Karls sechs Jahre älterer Bruder, Hugo Bacharach, lebt mit seiner 14 Jahre jüngeren, in Laupheim geborenen Frau Grete, geborene Hess, und vier Söhnen schon lange in Spanien. Er muss bereits vor 1915 nach dorthin ausgewandert sein, denn sein ältester Sohn Rodolfo Julio ist im Januar 1915 in Valencia zur Welt gekommen. Hugo gründet 1926 in Jutera de Foios die damals größte Sackfabrik in Spanien. Er stirbt im Januar 1942 mit nur 64 Jahren; nach ihm ist eine Straße benannt, die Calle Hugo Bacharach in 46134 Foios, Valencia, Spanien.

 

Der fünf Jahre ältere Bruder von Vater Karl, Julius Bacharach, ist bereits im Census vor 1900 in San Francisco zu finden; er ist als junger Mann um 1898 in die USA eingewandert. Am 30. September 1913 heiratet er in San Francisco Evelyn Kramer, sie stirbt schon früh, 1936 in San Francisco. Julius stirbt 30 Jahre später, am 17. Juni 1965, im Alter von fast 85 Jahren.

 

Über den Lebensweg der vier anderen Geschwister von Dr. Karl Bacharach konnte nichts in Erfahrung gebracht werden.

 

Beide Geschwister von Karls Frau, Fanny Bacharach, geborene Kleinhaus, können das rettende Ausland erreichen. Dr. Emil Moses Kleinhaus, geboren am 11. Oktober 1897 in München, wo er studierte und auch praktizierte, meldet sich 1928 nach Köln ab. Er emigriert um 1934 nach Haifa, damals Palästina. Ab 1938 ist er der erste leitende Radiologe der Röntgenabteilung des Rambam-Krankenhauses; sein Sohn, Professor Dr. Uriel Kleinhaus, folgt ihm später in der Leitung nach.

 

Die Schwester von Fanny, Dora Weiß, geboren am 22. Januar 1890, muss 1938 als Erbin des Anwesens in der Nussbaumstraße 8 die Farce des so genannten Teilverpfändungs-Verfahrens über sich ergehen lassen; die Immobilie fällt an das Deutsche Reich. Ihr Sohn Werner Wolfgang Weiß, 1924 geboren, kann im Juli 1939 mit einem Kindertransport nach England emigrieren; später lebt er dann in New York. Dr. Dora Weiß glückt mit ihrem Mann Dr. Walter Siegbert Weiß noch im August 1941 die Emigration über Spanien nach New York. Die Firma von Walter Weiß, Vermietung, Verkauf und Reparatur von Feldbahnen, Eisenbahnmaterial und Lokomotiven in der Paul-Heyse-Straße 35, war in einem jahrelangen und nervenaufreibenden Verfahren „arisiert“ worden. Bevor der Kaufpreis an den beauftragten „Abwickler“ bezahlt wird, befindet sich das Ehepaar Weiß bereits im Ausland. Zuvor hatte es noch insgesamt 83.000 Mark an „Judenabgaben“ und 5427,- Mark „Auswandererabgabe“ an die Reichsvereinigung der Juden zu bezahlen gehabt.

 

Dora Weiß stirbt – nach langem Leiden, wie es in der Todesanzeige in der Emigrantenzeitschrift der „Aufbau“ heißt – am 7. Oktober 1950 mit nur 60 Jahren. Ihr Mann Walter Weiss stirbt ein Jahr später am 27. Juli 1951 im Alter von 66 Jahren. Die 1927 geborene Tochter Helene Ruth Weiss bleibt in New York und heiratet dort Gunter Harff.

 

Ilse Macek