Oskar Abeles kommt am 23. Februar 1922 als erster Sohn von Friedrich und Rosa Abeles, geborene Katz, in München zur Welt, sein Bruder Walter fünf Jahre später, am 1. Januar 1927. Oskar und Walter werden in die weitverzweigte Familie Abeles hineingeboren, deren Wurzeln bis Jehuda Abeles, einem um 1740 geborenen Branntweinbrenner in Hochlibin (Vysoká Libyně) zurückverfolgt werden können.
Der Vater der beiden Buben, Friedrich (genannt Fritz) Abeles, ist am 1. April 1892 in Chiesch (Chyše) im Bezirk Luditz in Westböhmen geboren, das etwa 30 Kilometer von dem Ort entfernt liegt, an denen der Stammvater Jehuda lebte. Er ist der älteste Sohn von Max Abeles, Jahrgang 1865, und der zwei Jahre jüngeren Dorothea (Dora), geborene Aschenbrenner, die aus Kaunowa (Kounov) stammt, das im damaligen benachbarten Bezirk Rakonitz liegt. Die Bevölkerung war mehrheitlich deutschsprachig; die Großeltern sprachen sicher sowohl tschechisch als auch deutsch, denn bis 1874 wurde dort in der Schule zweisprachig unterrichtet; später gab es nur noch Unterricht in deutscher Sprache.
Die Mutter von Oskar und Walter, Rosa Abeles, geborene Katz, ist das fünfte, am 8. Oktober 1893 zur Welt gekommene Kind des Pferdehändlers David Katz und der in München 1858 geborenen Berta Heinemann. Die Familie Katz lebt in Schlüchtern, Kreis Kassel, und ist dort schon lange beheimatet. Rosa hat vier Brüder und drei Schwestern. Schwester Jenny ist am 24. November 1884 geboren, Bruder Hirsch am 4. Januar 1887, Leo am 18. März 1891, Emil am 17. Oktober 1895. Zu Bruder Salli, am 29. September 1897 geboren und den Schwestern Miriam, am 16. September 1899 sowie zu der zehn Jahre zuvor, am 5. März 1889 geborenen Wally gibt es keine weiteren Informationen. Der Vater David, Jahrgang 1852, stirbt im April 1913.
Rosa Katz und Fritz Abeles heiraten am 4. Mai 1921 in Schlüchtern. Das Ehepaar und ihr kleiner Sohn Oskar ist ab Januar 1924 in der Bruderhofstraße 28/I in Sendling gemeldet. Im gleichen Haus wohnt im Erdgeschoß der Bruder von Fritz, Ernst mit seiner Frau Hilda, geborene Heymann, deren Tochter Lieselotte im Februar 1924 zur Welt kommt, und die Schwiegermutter Berta Heymann. Drei Jahre später, im Januar 1927, wird Walter geboren; ab Juli 1927 bezieht die vierköpfige Familie eine Wohnung in der Urbanstraße 4/III, nur drei Minuten Fußweg entfernt.
Die Großeltern von Oskar und Walter, Max und Dorothea Abeles hatten 1890 in Kaunowa geheiratet, in Chiesch gelebt, und ließen sich mit vier noch dort geborenen Kindern im Oktober 1899 in München nieder. Der Sohn Fritz hat eine Schwester Therese, geboren am 18. August 1893, und sechs Brüder: Ernst, geboren am 21. Juni 1895, Eugen, geboren am 2. September 1897. Vier kommen in München zur Welt: Oskar am 28. September 1900, Otto am 21. Februar 1902, Joseph am 18. März 1905. Das letztgeborene Kind Heinrich, geboren am 8. April 1908, wird nur Jahr alt.
Max Abeles gründet eine Zigaretten & Tabakfabrik, die Abeles GmbH. Drei der Söhne und der Schwiegersohn arbeiten in der Firma mit: Der Sohn Otto Abeles ist ab 1927 Geschäftsführer,
die Söhne Ernst und Eugen sind Teilhaber. Ernst ist mit Hilda, der Schwester seines Schwagers Ludwig Heymann, dem Ehemann seiner Schwester Therese verheiratet. Ludwig ist ebenfalls in der Firma tätig. Die Produktionsräume befinden sich seit 1933 in der Lindwurmstraße 125 (heute 127). Vor dem 1. Weltkrieg hat dort Albert Einsteins Vater mit seinem Bruder eine Elektrofirma betrieben. Die Firma Abeles floriert und hat in München mehrere Niederlassungen, zuletzt finden dort 42 Menschen Arbeit. Der Sohn Fritz betreibt mehrere Filialen. Er hat 1927 beim Gewerbeamt einen Klein- und Großhandel in Tabakwaren angemeldet, hat in der Theatinerstraße 52 ein Tabakwarengeschäft, zu dem später noch zwei Filialen in der Dachauerstraße 5 und der Schillerstraße 36 kommen.
Als Oskar 13 Jahre und Walter 8 Jahre alt ist, begeht ihre Mutter, Rosa Katz, am 19. März 1935 Suizid. Sie ist 41 Jahre alt. Ob es einen Abschiedsbrief gab, ob die Gründe für diese Verzweiflungstat der Familie bekannt sind, ist unbekannt. Im Polizeiregister steht als angebliches Motiv „geistige Depression“. Vater Fritz, nun alleinerziehender Witwer, zieht im Juli 1935 mit den beiden Buben zu seinen Eltern, die jetzt in der Sendlinger Lindenschmitstraße 49 leben.
Die Tabakwarenhandlung von Fritz Abeles in der Theatinerstraße erzielt 1936 einen Jahresumsatz von über 100.000 Mark. Im Sommer 1938 versucht Fritz, den Betrieb zu verkaufen und schlägt einen Käufer vor, was vom „Arbeitskreis für Judenangelegenheiten“ unter Federführung der IHK aus angeblich „volkswirtschaftlichen Erwägungen“ abgelehnt wird. In der „Kristallnacht“ wird das Geschäft demoliert und am 10. November von Amts wegen geschlossen. Im Frühsommer 1939 bemüht sich Fritz Abeles gemeinsam mit seinen Söhnen Oskar und Walter vergeblich um eine Einreisemöglichkeit in die USA. 1939 wird das Geschäft bzw. der Warenbestand weit unter Wert von Hans Lorenz übernommen, so dass Fritz Abeles am Ende des Jahres nur noch ganze 4022 Mark übrig bleiben.
Spätestens ab August 1938 bemühen sich die Inhaber der Abeles-GmbH in der Lindwurmstraße 125 einen Käufer zu finden, ohne Erfolg. Somit muss die Firma nach der "Kristallnacht" 1938 ihre Geschäftstätigkeit einstellen. Eugen Abeles wird zum Liquidator bestimmt. Am 16. November erfolgt rückwirkend zum 11. November die Abmeldung der Abeles GmbH. Später wird das Anwesen, die Lindwurmstraße 125, die letzte Zuflucht der Israelitischen Kultusgemeinde. In den ehemaligen Firmenräumen wird der Betraum und u.a. die Auswanderungsstelle sowie eine letzte Schlafstätte für Gemeindemitglieder bis zu deren Deportation eingerichtet.
Einigen Mitgliedern der Familie Abeles gelingt die rettende Flucht ins Ausland.
Der 1922 geborene Sohn Heinz Kurt von Eugen und Margarethe Abeles kann als 15-Jähriger im Mai 1937 in die USA entkommen.
Therese Heymann, geborene Abeles, und ihr 1926 geborener Sohn Leopold können am 10. September 1937 nach Mailand und von dort in die USA emigrieren. Ihren 11-jährigen Sohn Edwin hatten Therese und Ludwig Heymann im Juli 1937 durch einen Unfall verloren. Ludwig wird wegen eines angeblichen Fälschungsdeliktes auf der Flucht von der italienischen Polizei festgenommen und dann zu zweieinhalb Jahren verurteilt. Eine nochmalige Flucht wird auf diese Weise unmöglich.
Joseph Abeles kann im März 1938 in die USA auswandern.
Oskar Abeles gelingt mit seiner Frau Meta, geborene Hess, und seinen Söhnen Peter und Fritz von München über Fulda, wo die Familie sich einige Monate aufhält, am 18. November 1938 die Emigration nach New York.
Otto Abeles glückt im Februar 1939 die Flucht nach New York.
Die Großmutter mütterlicherseits, Berta Katz, geborene Heinemann, Jahrgang 1858 in Mansbach, Kreis Hünfeld geboren, die1932 nach München gezogen war, wandert mit ihren über 80 Jahren im November 1939 über Holland in die USA aus.
Im Sommer 1940 werden die Großeltern Max und Dorothea Abeles „entmietet“, wie der zynische Begriff seinerzeit heißt. Sie ziehen von Sendling für ein Jahr und ein paar Monate in die Leopoldstr. 52a nach Schwabing in ein so genanntes „Judenhaus“, wo sie zusammen mit über 50 Leidensgefährten zusammengepfercht leben müssen; die Wiesbadener Eigentümer, sind Max und Johannes Herz. Auch Oskar, Walter und ihr Vater Fritz Abeles müssen zu den Großeltern in das „Judenhaus“ ziehen.
Im November 1941 werden Max und Dorothea Abeles ins Internierungslager Clemens-August-Straße nach Berg am Laim gezwungen und im Februar 1942 ins Barackenlager Milbertshofen in der Knorrstraße 148. Max Abeles ist zwischenzeitlich von 1941 an noch in der Leitung des Internierungslagers in Berg am Laim zusammen mit Else Behrend-Rosenfeld tätig.
Oskar und Walter Abeles werden zusammen mit ihrem Vater Fritz Abeles in der ersten großen Deportation aus München am 20. November 1941 nach Kaunas deportiert und dort am 25. November ermordet. Fritz ist 49, seine Söhne 19 und 13 Jahre alt. Mit ihnen erleiden ebenso weitere Mitglieder der Familie Abeles zusammen mit rund 1000 jüdischen Münchnerinnen und Münchner das gleiche Schicksal, darunter viele Kinder.
Am Tag der Massenerschießung in Kaunas wird die 11. Verordnung zum Reichsbürgergesetz erlassen, dass „mit der Verlegung des gewöhnlichen Aufenthalts ins Ausland“ die deutsche Staatsangehörigkeit entzogen und mit dem Verlust der Staatsangehörigkeit das jüdische Vermögen „zu Gunsten des Reiches“ eingezogen wird. Da die Deportationen in das so genannte Generalgouvernement bzw. in die Reichskommissariate Ostland oder Ukraine abgehen, die nicht als Ausland gelten, werden diese Gebiete per Runderlass vom Reichsminister des Innern nachträglich am 3. Dezember 1941 als „Ausland im Sinne der Elften Verordnung“ deklariert.
Der Onkel von Oskar und Walter, Ernst Abeles, der Teilhaber der väterlichen Firma war und der nach deren Liquidation einen Großhandel mit Ölgemälden unter seiner Privatadresse betrieb, wird ebenfalls zusammen mit seiner Frau Hilda, geborene Heymann, und der Tochter Lieselotte, die zuvor noch in der Flachsröste Lohhof Zwangsarbeit hatte leisten müssen, am 25. November in Kaunas ermordet. Ernst ist 46 Jahre alt, Ehefrau Hilda wird an ihrem 46. Geburtstag ermordet, Tochter Lieselotte ist 17 Jahre.
Hildas Bruder Ludwig Heymann, Weltkriegsteilnehmer, ist ebenfalls auf dieser Fahrt in den Tod dabei und zu diesem Zeitpunkt 44 Jahre alt.
Ebenfalls 44 Jahre und mit im Deportationszug ist Eugen Abeles. Seine geschiedene Frau Margarethe, geborene Lewy, wird später, am 10. Juni 1942, nach Theresienstadt und am 6. September von dort nach Auschwitz deportiert und ermordet.
Am 17. Juni 1942 werden Max Abeles und seine Frau Dorothea nach Theresienstadt verschleppt; am 19. September werden beide in das Vernichtungslager Treblinka deportiert und dort ermordet; Dora ist 75 Jahre, Max wäre zwei Tage später 77 Jahre alt geworden.
Die Familienmitglieder, die entkommen konnten, erfahren Genaueres darüber erst nach dem Krieg.
Otto Abeles stirbt 1969 mit 67 Jahren in New York.
Therese Heymann, geborene Abeles, stirbt mit 85 Jahren im Januar 1979 in Palisades im Staat New York; ihr Sohn Leopold wird 79 und stirbt dort im August 2002.
Oskar Abeles stirbt ein Jahr nach seiner Frau Meta in New York im Mai 1982 im Alter von 81 Jahren.
Joseph Abeles stirbt im März 1994 in New York kurz vor seinem 89. Geburtstag.
Der Sohn von Eugen Abeles, Heinz Kurt (in USA in Harry geändert), stirbt im April 2007 mit 84 Jahren in San Francisco, California.
Ilse Macek