Lore Levi

Cora Rahel Lore Levi, mit Rufnamen Lore, ist das dritte Kind des Pferdehändlers August Levi, der am 24. Juni 1884 in Saarwellingen bei Saarlouis zur Welt kam. Er hatte im Alter von 37 Jahren am 2. Januar 1922 in Bad Kreuznach die aus dem nicht weit davon gelegenen Weinsheim gebürtige 28-jährige Sofie Marx geheiratet.

 

Die Familie lebt in Saarlouis in der Lisdorferstraße 15. Sofie Levi, am 10. April 1893 geboren, bekommt ihr erstes Kind, den Sohn Heinz, am 3. Oktober 1922, das zweite, Johanna Helene, am 2. September 1923. Das Nesthäkchen Lore wird 12 Jahre später, am 5. April 1935, geboren. Nach der Volksabstimmung vom 13. Januar 1935 wird das Saargebiet zum 1. März 1935 wieder Teil des Deutschen Reichs und damit auch Teil des unmittelbaren nationalsozialistischen Machtbereichs. Von 1936 bis 1945 heißt Saarlouis nun „Saarlautern“. Es hatte auch zuvor bereits antisemitische Ausschreitungen gegeben, aber nun werden die Verhältnisse für die dort lebenden jüdischen Familien noch schlimmer. Viele der Saarlouiser Bürger jüdischen Glaubens fliehen, vorwiegend nach Frankreich, was aber nur noch für kurze Zeit Schutz bieten wird. 

 

Nach der „Kristallnacht“ 1938 wird August Levi am 15. November 1938 ins Konzentrationslager Dachau verschleppt, wo er bis 19. Dezember inhaftiert bleibt. Nach dem Überfall auf Polen, dem Beginn des 2. Weltkrieges, erklärt Frankreich dem Reich am 3. September 1939 den Krieg und man fürchtet nun Angriffe Frankreichs. Die Bewohner der so genannten Roten Zone entlang der deutsch-französischen Grenze werden in das Innere des Deutschen Reiches evakuiert. Sie müssen ihren Besitz aufgeben und alles zurücklassen. Dieses Schicksal trifft auch die Familie Levi, die Hals-über-Kopf die Wohnung in Saarlautern räumen muss und am 13. September 1939 in München ankommt.

 

August und Helene Levi wohnen zunächst in der Tengstraße 32 im 1. Stock mit den älteren beiden Kindern. Die kleine Lore lebt bis August 1940 in der Familie von Dr. Hans und Brigitte Bloch am Odeonsplatz 1/Ecke Briennerstraße in der Altstadt unter. Deren Töchter, Angelika Amalie Elis, geboren am 12. Juli 1932 und Elise Gabriela Ida, geboren am 1. Juni 1934, sind knapp drei Jahre bzw. ein Jahr älter als Lore. Brigitte Bloch, geborene Hauptmann, ist nicht jüdisch. Ab 18. August kommt Lore für zwei Wochen ins Antonienheim. Von dort wird sie abgemeldet in die Rückertstraße 9 in der Ludwigsvorstadt. Ob sie dort von Martha Wiener, geborene Lindauer, versorgt wird, oder wieder von der Familie Bloch, bleibt ungeklärt. Martha Wieners Tochter, Margot Beate Erika, ist viereinhalb Jahre älter als Lore. Der Vater von Margot, Benno Wiener, war bereits im Juli 1938, kurz nach seinem 49. Geburtstag gestorben.

 

Heinz Levi, Lores älterer Bruder, ist landwirtschaftlicher Praktikant. Er kann von Februar bis Mitte Oktober 1940 im Lehrlingsheim der Israelitischen Kultusgemeinde in der Hohenzollernstraße 4 in Schwabing wohnen. Die Schwester, Johanna Helene, absolviert ab Februar 1940 eine einjährige Haushaltslehre im Antonienheim.

 

Heinz Levi lebt inzwischen ab Oktober 1940 wieder bei seinen Eltern, die in der Lindwurmstraße 19, 4. Stock, bei Theodor und Jette Fellheimer den Monat zuvor eine Wohnstatt gefunden haben. Martha Wiener wird zum 23. Januar 1941 „entmietet“; es ist möglich, dass Lore nun kurzfristig bei ihren Eltern lebt. Ab 6. Mai 1941 ist Lore dann wieder im Antonienheim gemeldet. Schwester Johanna Levi ist nach ihrer Lehre im Antonienheim ab Februar 1941 ein halbes Jahr als Hausangestellte in der Seitzstraße 5, 2. Stock, im Lehel bei der Familie des Textilgroßhändlers Joseph Stark, ehemals Teilhaber der bekannten Tuchhandlung „N. Stark & Cie“ am Karlsplatz. Die Ehefrau von Joseph Stark, Lina, geborene Weißmann, aus Viernheim in Hessen gebürtig, ist schwer herzkrank und stirbt im Juni 1941 im Alter von 45 Jahren. Sie hinterlässt den Ehemann und zwei Kinder. Ab 6. August kann Johanna Levi der Familie Stark nicht mehr beistehen; sie muss in der Flachsröste Lohhof wohnen und dort schwere Zwangsarbeit leisten.

 

Am 20. November 1941 wird die fünfköpfige Familie Levi nach Kaunas deportiert und dort am 25. November ermordet; Heinz wird noch auf eigenen Wunsch dem Transport zugeteilt, um in der vermeintlichen Ansiedlung im Osten den Eltern beistehen zu können. Vater August ist 57, Mutter Sofie 48, Heinz 19, Johanna Helene 18 und Lore 6 Jahre alt.

 

Dr. Hans Albert Bloch, geheimer Justizrat und Rechtsanwalt, nach dem Berufsverbot „Konsulent“ und deren Vertrauensmann, im 1. Weltkrieg Kriegsfreiwilliger und schwer verwundeter Offizier, mit dem Eisernen Kreuz I. Klasse ausgezeichnet, bei dessen Familie die kleine Lore ein glückliches Jahr verbracht hat, wird am 11. Dezember 1941 inhaftiert, dann ins Konzentrationslager Mauthausen verschleppt, wo er am 9. März 1942 im Alter von 46 Jahren ermordet wird. Seiner verwitweten Mutter Ida Bloch, geborene Königsberger, und seinen Schwestern Elisabeth, verheiratete Klopfer und Sophie Klara, verheiratete Breetz, gelingt die Emigration nach New York. Seine Witwe Brigitte Bloch, geborene Hauptmann, bleibt in München, wo sie im Dezember 1959 mit 57 Jahren stirbt.

 

Die Familie Martha Wiener mit Tochter Margot, bei denen Lore wahrscheinlich fünf Monate verbracht hat, wird wie die Familie Levi am 20. November 1941 nach Kaunas deportiert und dort am 25. November ermordet. Martha Wiener ist zum Zeitpunkt ihrer Ermordung 41, die Tochter Margot 10 Jahre alt.

 

Auch die Familie Stark, bei der Johanna Levi Hausangestellte war, wird in Kaunas ermordet. Joseph Stark, aus Ermetzhofen in Mittelfranken stammend, ist 59 Jahre, die Tochter Rita Irmgard 19 Jahre alt; der Sohn Günther Michael wäre am 15. Dezember 16 Jahre alt geworden.

 

Ebenso wird Theodor Fellheimer, der Hauptmieter der letzten Wohnung des Ehepaars Levi in der Lindwurmstraße, und dessen Frau Jette, geborene Guggenheim, sowie deren Tochter Lore Luise nach Kaunas deportiert und dort ermordet. Theodor Fellheimer ist 55, seine Frau Jette 48, die Tochter Lore Luise 12 Jahre alt. Nur der älteren Tochter Margot war im Mai 1939 im Alter von 19 Jahren die Emigration mit einem Kindertransport nach England gelungen.

 

Ilse Macek