Harry Schu

Harry Schu wird am 19. August 1923 in Zweibrücken (Rheinpfalz) geboren. Sein Vater Johann ist katholisch und arbeitet bei der Reichsbahn, die Mutter Helene, geborene Isaak, stammt aus Tholey, Rheinprovinz, und ist jüdischen Glaubens. Harry hat eine drei Jahre jüngere Schwester Henny-Ruth. Die Familie Schu lebt in Zweibrücken. Zweibrücken befand sich in Folge des 1. Weltkriegs bis 1930 unter französischer Besatzung. Bereits 1932 regiert dort ein nationalsozialistischer Oberbürgermeister und bei den Reichstagswahlen im November 1932 geben mehr als die Hälfte der wahlberechtigten Zweibrücker ihre Stimme der NSDAP. Die Familie zieht 1936 nach dem 50 km entfernten Oberthal (Saarland) um, welches 1935 von Frankreich wieder an das Deutsche Reich angegliedert wurde. Ab 1933 verkleinern sich die jüdischen Gemeinden rasch durch Auswanderung und Wegzug in Großstädte, die vermeintlich mehr Zufluchtsmöglichkeiten bieten. Auch eine Schwester von Harry Mutter, Selma Isaak, wandert 1938 nach USA aus.

 

Harry, beim Umzug nach Oberthal 13 Jahre alt, ist ein fleißiger und beliebter Schüler des Gymnasiums im 10 Kilometer entfernten Sankt Wendel. Er und seine Schwester sind als so genannte „Halbjuden“ sozialen Restriktionen ausgesetzt; die Schikanen nehmen zu. Die Eltern versuchen, vorzusorgen: Harrys jüngere Schwester Henny-Ruth kann 1937 bei ihrer Tante in den USA unterkommen; sie ist zu diesem Zeitpunkt 11 Jahre alt.

 

Harry wird nach der so genannten „Kristallnacht“ 1938 der Schule verwiesen; er ist 15 Jahre alt und hat nur noch die Obertertia beenden können, also noch nicht einmal die Mittlere Reife erlangt.

 

Seine Mutter, Helene Schu, muss ab Januar 1939 den Zwangsnamen Sara tragen.

 

Die jüdische Bevölkerung aus Baden, aus der Saarpfalz und dem Saarland wird – langfristig und systematisch und bürokratisch vorbereitet – bereits ein Jahr vor den im Reich einsetzenden Deportationen in die Todeslager im Osten im Herbst 1940 nach Frankreich deportiert. Die Großeltern von Harry, Moses Isaak und seine Frau Bertha, geborene Katz, werden am 22. Oktober 1940 von Tholey ins südfranzösische Gurs verschleppt, von dort weiter in das Internierungslager Récébédou, wo Moses Isaak im Februar 1942 umkommen wird. Eine der drei Schwestern von Harrys Mutter, Veronika Isaak, wird im August 1942 über Drancy nach Auschwitz deportiert werden; die Großmutter Bertha Isaak wird am 17. Dezember 1942 den Freitod wählen.

 

Ende 1940 sind nur zwei jüdische Frauen im Landkreis St. Wendel übrig geblieben, beide noch durch ihre Ehe mit einem Katholiken geschützt; eine davon ist Helene Schu. Sie muss von September 1941 an den Judenstern tragen.

 

Harry ist inzwischen in München und versucht dort mit anderen Jugendlichen, die in dieser Zeit zumeist aus Bayern, Franken, Baden-Württemberg und der Pfalz stammen und sich ohne ihre Familien in München aufhalten, im jüdischen Lehrlingsheim in der Hohenzollernstraße 4 wenigstens eine Ausbildung in einem praktischen Beruf zu absolvieren. Das Lehrlingsheim ist das letzte seiner Art in Deutschland. Es werden in den jüdischen Anlernwerkstätten in der Reichenbachstraße Grundkenntnisse im Schreiner- oder Mechaniker-Beruf vermittelt und danach „Zeugnisse für Auswanderer“ ausgestellt. Laut Auskunft seines Freundes Erwin Weil, wird Harry 1941 vom Heimleiter in seinen Heimatort Oberthal zurück geschickt, da er zusammen mit anderen im jugendlichen Leichtsinn ohne Judenstern unterwegs war und erwischt wurde. Das Heimleiter-Ehepaar Gern wird im November nach Kaunas deportiert und ermordet, das Lehrlingsheim Ende 1941 geschlossen. Für kurze Zeit findet Harry noch Arbeit im St. Wendeler Installateurs-Betrieb Blaumeyer, dann verliert er auch diese Stelle. Der Kreis wird immer enger, die Gefährdung größer.

 

Harry versucht, in die Schweiz zu fliehen, wird aber nach dem Grenzübertritt festgenommen und im Gefängnis inhaftiert. Dann wird er nach Deutschland abgeschoben und am 4. November1942 nach Dachau verschleppt. Nach der schriftlichen Anzeige der Polizeileitstelle München erliegt Harry Schu dort nach 10 Tagen, am 14. November 1942, im Alter von nur 19 Jahren einem „Versagen von Herz und Kreislauf bei Darmkatarrh“. Die Todesnachricht mit der Bestätigung der erfolgten Einäscherung erhalten die Eltern am 27. November 1942. Sein nichtjüdischer Vater hatte mehrere Bittschreiben an das Regime gerichtet – ohne Erfolg. Seine Mutter Helene schreibt am 20. Dezember 1942 aus Oberthal an Harrys Freund Erwin Weil: „Wir erhielten deinen lb. Brief. Gerne hätte ich dir schon mal geschrieben, wartete immer, dir ein günstiges Resultat mitteilen zu können, leider hatten unsere ganzen Bemühungen keinen Erfolg, da man uns bis heute ... ohne Antwort ließ. Nachdem unser armer Harry 8 Monate in Haft war, kam er Ende Okt. nach Dachau und erhielten wir kurz nachher die traurige Nachricht, dass er am 14. November gestorben sei, ich kann dir nicht schreiben, wie groß unser Schmerz und Elend ist ...“

 

Harrys Mutter, Helene Schu, wird am 8. März 1945, 11 Tage bevor die Amerikaner den Kreis St. Wendel befreien, nach Köln und von dort am 14. März 1945 nach Theresienstadt deportiert, wo sie kurz nach der Befreiung, am 26. Mai 1945, stirbt. Sie hatte sich um die Pflege der Kranken gekümmert und sich mit Typhus infiziert.

 

Seit Mai 2014 gibt es in Oberthal zum Gedenken an Harry Schu und seine Familie an der Kreuzung der Bahnhofs- und Kirchstraße, wo auch der Wendelinus-Radweg entlangführt, den „Harry-Schu-Platz“ in unmittelbarer Nähe zum ehemaligen Zuhause der Familie.

 

Ilse Macek