Franziska Charlotte Schmalzbach aus der Musikerfamilie Schmalzbach

Fanny Schmalzbach ist das vierte Kind des Musikers Joseph Rubin und der Anna (Chaje) Schmalzbach, geborene Käfer, und kommt am 1. März 1890 in München zur Welt. Sie hat vier ältere Brüder und eine jüngere Schwester: Leon Leopold, am 13. Oktober 1882 noch in Jaroslau (Jarosław, Polen) in Galizien geboren, Hermann, am 18. Oktober 1884, Michael David, am 13. April 1886, Karl Wilhelm am 18. November 1887, und Gisela Debora, am 10. Juni 1896 – alle in München zur Welt gekommen.


Die Eltern von Fanny stammen beide aus Galizien, das im Zuge der Ersten Teilung Polens 1772 unter die Herrschaft Österreichs kam und bis 1918 blieb. Bevor sie nach München kommen, sind sie in Ohlau (heute: Oława, Polen) gemeldet, das etwa 70 km von Jaroslau entfernt in Niederschlesien liegt. Joseph Rubin, in Jaroslau, Haus Nr. 135, am 10. April 1856 geboren, wird Musiker und arbeitet im „Brotberuf“ bei seinem Vater als Malergehilfe. Sein Vater, Abraham Mejer Schmalzbach, ist Maler in Jaroslau, seine Mutter Hinka Charlotte Schmalzbach ist eine geborene Storchheim. Er hat zwei jüngere Brüder: Ignaz Isak, Jahrgang 1861 und Wilhelm Chajm, Jahrgang 1863.


Der 24-jährige Joseph Rubin Schmalzbach heiratet im Februar 1881 in Jaroslau die ebenfalls im österreichischen „Kronland Galizien“ beheimatete 22-jährige Anna Chaje Käfer, geboren am 10. April 1859 in Tarnau (Tarnów, Polen).


Anna Chaje und Joseph Rubin Schmalzbach wandern aus Galizien in einer Zeit aus, in der Tausende jüdische Bewohner Galiziens der dort herrschenden bitteren Armut wegen ihre Heimat verlassen. Die meisten von ihnen suchen in den Jahren zwischen 1860 bis 1890 in den Vereinigten Staaten ihr Glück. In Galizien ist der jüdische Bevölkerungsanteil konstant um die 11 Prozent; sie leben – abgetrennt von der anderen Bevölkerung - meist in kleineren Städten, den Schtetl. Dort sind die Klein- und Kleinstbetriebe und deren wenige Arbeitsplätze restlos überfüllt; Arbeit zu finden, ist demnach fast aussichtslos. Größere Städte, wie zum Beispiel Tarnau, die drittgrößte Stadt in Galizien und die Heimatstadt von Anna Chaje Käfer, kann – wegen der vielen Zugewanderten, der Landflucht aus eben diesen wirtschaftlichen Gründen – auch keine beruflichen Chancen bieten. Der jüdische Bevölkerungsanteil ist dort viel höher. Bis zum Kriegsbeginn 1939 wird die jüdische Bevölkerung in Tarnau bis zu einem Drittel der Einwohnerzahl von rund 40.000 anwachsen.


Am 12. März 1884 zieht das Ehepaar Schmalzbach mit seinem Sohn Leon in München zu. Womit der Vater Joseph Rubin Schmalzbach zunächst den Lebensunterhalt für seine Familie verdient, ist nicht bekannt. Ab 1897 findet er eine Stelle als Hausmusiker im „Universum“, das mit seinen nicht sehr erfolgreichen Variétévorstellungen in der Augustenstraße 89 in der Maxvorstadt residiert. 1906 wird es zum „Münchner Lustspielhaus“, zwischendurch heißt es provokativ „Zum großen Wurstel“ (mit dem französischen Untertitel: „Grand Guignol“) und ab 1912 „Münchner Kammerspiele“. Große Theaterleute, berühmte Stückeschreiber wie u.a. Heinrich Mann, Leonid Andrejew, Frank Wedekind erregen Aufsehen; Intendanten wechseln, bis Otto Falckenberg 1914 dem Haus mit Strindbergs „Gespenstersonate“ 1915 zum Durchbruch verhilft. Seine Musiker-Stelle wird Joseph Rubin Schmalzbach bis zu seiner Rente 1924 behalten; in diesem Jahr wird er 68 Jahre alt. Er ist Mitglied der Chewra Kaddischa, die die im Judentum hochgeachteten Dienste an den Toten der Gemeinde im Zusammenhang mit deren Begräbnis versieht.


Ab Oktober 1901 wohnt Familie Schmalzbach mit ihren inzwischen sechs Kindern in der Münchner Isarvorstadt, Ickstattstraße 24, von wo sie 1903 ein paar Häuser weiter in die Nr. 17 ziehen. Der Vater arbeitet seit 1897 im Lustspielhaus als Hausmusiker. 1912, die Kinder sind bis auf die Jüngste erwachsen, zieht die Familie in die Pestalozzistraße 2 (bei Käufer). Fanny und die sechs Jahre jüngere Schwester Gisela Debora wohnen weiterhin bei ihren Eltern. Fanny ist unverheiratet und arbeitet als Kontoristin.


Einer ihrer Brüder, der vier Jahre ältere Michael David, wird in den Kriegswirren 1916 als vermisst gemeldet und zum 1. Dezember 1918 für tot erklärt. Der drei Jahre ältere Karl Wilhelm (Willy) lebt seit 1913 in Berlin und ist verheiratet. Im März 1923 stirbt der zweitälteste Bruder mit nur 38 Jahren. Im gleichen Jahr wandert die 26-jährige Schwester Gisela Debora nach Paraguay aus.


Über das Leben Leons, des Ältesten der vier Brüder, ist verhältnismäßig viel bekannt. Leon hat das musikalische Talent des Vaters geerbt, die Kreisrealschule besucht, 1895 bis 1898 die Präparandenanstalt in Höchberg bei Würzburg, anschließend drei Jahre das Königliche Schullehrer-Seminar in Würzburg. Zwischen 1901 und 1907 absolviert er die Ausbildung als Volksschullehrer, Religionslehrer, Kantor und Rabbinatsverweser in Pfungstadt bei Darmstadt. Dann hat er eine erste Anstellung am Lehr- und Erziehungsinstitut des Dr. Barnaß in Pfungstadt. Gleichzeitig lässt ihn die Liebe zur Musik nicht los. Anders ist nicht zu erklären, warum er ab 1904 – zusätzlich zu seiner Lehrerausbildung – sieben Semester an der Königlichen Akademie für Tonkunst studiert. Er belegt Kurse bei Melchior Ernst Sachs, Bernhard Günzburger, Anton Beer-Walbrunn und Max Reger. Noch vor seiner Übersiedlung nach Hechingen erscheinen mehrere Kompositionen von ihm, die u. a. in München aufgeführt werden. 1908 beendet er das Studium und hält seinen ersten Probegottesdienst in der Hechinger Synagoge, wohin er als Kantor, Religionslehrer und Lehrer an der jüdischen Volksschule berufen wird. Am 9. November 1908 wird er – als österreichischer Staatsbürger –zunächst provisorisch angestellt. 1913 erhält er die preußische Staatsbürgerschaft und ist nun staatlicher Lehrer auf Lebenszeit. Das in der Mitte des heutigen Baden-Württemberg gelegene Hechingen, einst zum Fürstentum Hohenzollern gehörend, fiel 1850 an das Königreich Preußen.


Ab Oktober 1915 nimmt Leon Schmalzbach als Frontkämpfer am 1. Weltkrieg teil, wird verwundet und erhält 1918 das Eiserne Kreuz II. Klasse. 1919 heiratet er, inzwischen 36 Jahre alt, die 31-jährige Mina Weil aus Haigerloch, Tochter von Jakob und Henriette Weil, geborene Levi. 1920 wird die Tochter Ruth geboren; 1926 wird die Ehe geschieden.


Im gleichen Jahr wird die Israelitische Volksschule Hechingen wegen zu geringer Schülerzahl aufgelöst und Leon Schmalbach tritt mit erst 43 Jahren in den einstweiligen Ruhestand. Er kann weiterhin israelitische Religion an der Volksschule, der höheren Töchterschule und am Gymnasium unterrichten und hat jetzt gezwungenermaßen Zeit, sich wieder dem musikalischen Schaffen zu widmen. Inzwischen ist er in das „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“, einem der Weimarer Republik und Demokratie verpflichteten Schutzverein, eingetreten. Selbst ausgebildeter Sänger (Bariton), Musikpädagoge und Virtuose (Flügel, Geige) leitet er Chor und Orchester des Musikvereins und den Arbeitergesangsverein „Vorwärts“ sowie den Männergesangsverein „Eintracht Bisingen“. Er vertont Heimatgedichte und komponiert zahlreiche „Neue Volkslieder“ für Männerchöre, auch den Narrenmarsch für die Fasnachtsgesellschaft „Narrhalla“, und führt bis 1933 ein der Musik gewidmetes Leben. Auch in anderen Städten werden seine Liedkompositionen bekannt, namentlich 1927 durch den Erfolg auf der 1. deutschen Sängerwoche in Nürnberg.


Außerhalb der jüdischen Gemeinschaft beteiligt er sich rege am gesellschaftlichen Leben, ist mit jeder Faser deutscher Patriot. Wie heimatverbunden Leon Schmalzbach empfindet, ist in seiner anonym erschienenen Satire „Musikalische Phantasie“ nachzulesen. Darin klagt er die Musikwissenschaft und die Musikverleger an, lieber „die unmöglichsten Sammlungen“ nach Altem zu durchsuchen, lieber schlechte Bearbeitungen eines alten Liedes zu kaufen als ein gutes eines neuzeitlichen Komponisten. Er fordert „neue Lieder mit neuen Melodien“ zu fördern, die „dem heutigen Empfinden des deutschen Volkes entsprechen“. Von ihm ist auch eine Rede erhalten, die er zur Einweihung der Hechinger Kriegergedächtnisstätte 1932 hält, worin viel von der „inneren Einheit des deutschen Volkes“ die Rede ist. Er schließt mit dem Satz: „Hier hat sich immer ein friedliches Zusammenleben, gegenseitiges Einstehen und menschliche Hilfsbereitschaft bei allen Glaubensbekenntnissen gezeigt. Und wir Juden, die seit vielen Jahrhunderten in dieser Stadt ansässig sind, haben dies schöne Verhältnis der Volksverbundenheit so selbstverständlich gefunden wie unsere Mitbürger.“


Wie sehr er sich täuscht, wird spätestens 1933 offenbar. Es erfolgt der Ausschluss jüdischer Mitglieder aus allen Vereinen, nachdem diese den so genannten „Arierparagraphen“ eingeführt haben. Und es kommt noch schlimmer: Leon Schmalzbach wird aus dem Staatsdienst entlassen. Er ist erst knapp über 50 Jahre alt. 1935 kann er im Auftrag der jüdischen Gemeinde wenigstens Hilfsdienste leisten und sich als Beauftragter für die Jüdische Winterhilfe betätigen sowie bei der Erstellung der Gräberliste des jüdischen Friedhofs mithelfen.
Joseph Schmalzbach, der Vater von Fanny und Leon, stirbt mit 81 Jahren am 13. Februar 1937 im Krankenheim der Israelitischen Kulturgemeinde München, Hermann-Schmid-Straße 7. Sein Einzelgrab befindet sich im Neuen Israelitischen Friedhof.


1938 wird Leon Schmalzbach, der weiterhin in Hechingen lebt und einigen jüdischen Kindern noch Religionsunterricht erteilt, nicht nur das Ruhegehalt gekürzt, sondern er wird auch wie viele tausend Leidensgenossen im Zuge der so genannten „Kristallnacht“ am 12. November 1938 in das Konzentrationslager Dachau verschleppt. Am 5. Dezember wird er entlassen. 1939 beantragt er einen Reisepass, um als „Siedler“ nach Paraguay auszuwandern. Die Ausreise wird ihm verwehrt; das benötigte Transit-Visum wird nicht erteilt. Tochter Ruth Schmalzbach hingegen kann im März 1939 nach England entkommen und von dort in die USA emigrieren. Am 10. November 1939 wird Leon erneut verhaftet und ins Gefängnis nach Stuttgart überführt. Wie lange er dort inhaftiert bleibt, ist nicht bekannt.


Fanny Schmalzbach wird vom Polnischen Innenministerium in Warschau am 23. März 1939 die polnische Staatsangehörigkeit aberkannt. Im September versucht sie vergeblich, zu ihrer Schwester Gisela Debora nach Paraguay zu emigrieren. Die notwendigen Ausweispapiere zur Auswanderung hat sie bereits erhalten und ihren Hausrat auf den Weg geschickt. Doch der Kriegsbeginn vereitelt ihre Pläne. Sie wohnt zwangsweise ab Oktober 1939 in der Münchner Innenstadt, Löwengrube 16, im dritten Stock.


Am 30. März 1940 stirbt die Mutter von Fanny, Anna Chaje Schmalzbach, kurz vor ihrem 81. Geburtstag im Krankenheim der Israelitischen Kultusgemeinde in der Hermann-Schmid-Straße 5 in München.


Fanny Schmalzbach wird in der ersten großen Deportation am 20. November 1941 von München-Milbertshofen nach Kaunas deportiert, wo sie am 25. November zusammen mit 1.000 aus München und Umgebung stammenden Leidensgefährten in einer Massenerschießung ermordet wird. Sie ist 51 Jahre alt.


Am 27. November werden Fannys Bruder Leon Schmalzbach und seine geschiedene Frau Mina in das Stuttgarter Sammellager am Killesberg verschleppt, von wo sie am 1. Dezember 1941 ins Außenlager Jungfernhof des Ghetto Riga in Lettland deportiert werden. Die Fahrt dauert drei Tage und drei Nächte. Dort verhungert der 60-jährige 1942, wie später eine Überlebende berichtet. Leon hat seine Deportation vorausgesehen, denn er hat vorsorglich seiner treu ergebenen Haushälterin alles vermacht, was er noch an Eigentum besitzt, damit es nicht an das Deutsche Reich fallen kann. Im Protokoll des Bürgermeisteramts Hechingen vom 27. November 1941 heißt es: „Wohnung Schmalzbach, Hohenberger Straße 9 - Wohnungseinrichtung übereignet an die Haushälterin Therese Schäffler, arische Haushälterin des Genannten. Die Übereignung ist durch besondere Urkunden nachgewiesen. Versiegelung war nicht möglich.“
Der seit 1913 in Berlin lebende Bruder Karl Wilhelm Schmalzbach wird am 12. März 1943 mit seiner am 20. Juli 1892 in Freiburg in Schlesien geborenen Ehefrau Wally, geborene Katschinsky, in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und dort am 31. März ermordet. Karl Wilhelm ist 55, seine Frau Wally 50 Jahre alt.


Joseph Rubin Schmalzbach wird im Bayerischen Musikerlexikon der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität als Vater des berühmteren Sohnes, Leon Schmalzbach, mit der musikalischen Berufsbezeichnung „Unterhaltungskünstler“ geführt; Leon Schmalzbach, der dort und ebenso im Lexikon verfolgter Musikerinnen und Musiker der NS-Zeit der Universität Hamburg zu finden ist, wird als „Komponist“ apostrophiert. Zu seinen Ehren ist in Hechingen nach ihm der Leon-Schmalzbach-Weg benannt.


Leon Schmalzbachs Enkelin, Miriam Lerner, die seinerzeit in Brooklyn, New York lebte, hat für ihren Großvater Leon Schmalzbach am 4. Oktober 1991 ein Gedenkblatt in Yad Vashem erstellt.


Ilse Macek